Bonn-Duell Noch kein bisschen leise:
1984 bei Bonn-Duell immer noch am Mikro

Gefunden auf Punkfoto.de. Ein Besuch dieser Seite lohnt sich, tausende von Punkfotos zum stöbern.

ähnlich klingen wie meine musikalischen Vorbilder "State Of Alert" oder "Teen Idles" aus den USA. Auch schreiberisch wurde ich wieder aktiv, erstellte für das Bremer Fanzine "Endlösung" eine alle zwei oder drei Monate erscheinende Seite mit Neuigkeiten und Informationen aus der Bonner Punkszene. Die Idee hinter diesem Projekt war, dass der Macher des ehemals auf lokale Bereiche beschränkten Fanzines ein erstes regelmäßig erscheinendes und überregional vertriebenes Punkfanzine Deutschlands machen wollte. Er vergrößerte das Heft auf das bis dato eher unübliche A4-Format und aktive Punks aus der ganzen Republik beteiligten sich, schrieben Artikel über Konzerte, Bands oder sonstige Aktivitäten in ihren Städten. Leider fiel dieses löbliche Informationsprojekt in eine Zeit in der es wenig zu berichten gab, sehr wenige Konzerte stattfanden und ein Großteil der Aktivitäten erlahmt waren. Nach einigen Ausgaben stellte die "Endlösung" ihr Erscheinen ein und für mich rückte das Vernichten von immer neuen Alkoholmengen wieder in den Vordergrund.
   Ab dem Jahre 1983 kristallisierte sich der Bonner Kaiserplatz als neuer Treffpunkt heraus. Der noch im Vorjahr oft besuchte Berliner Platz wurde nicht mehr frequentiert, wohl weil der Kaiserplatz größer ist und in einem lebhafteren Bereich der Innenstadt liegt und – ein entscheidendes Kriterium – weil direkt neben ihm eine Frittenbude lag an der "Knallwasser" (Bier)-Nachschub geholt werden konnte. An diesem Ort zeigte sich besonders deutlich wie sehr sich Punk auf "auffälliges Aussehen" und "favorisierte Musikrichtung" reduziert hatte, zu der noch "destruktives Verhalten" und "ein Hang zur Selbstzerstörung" hinzukamen. Viele der in dieser Zeit neu zur Punkszene stoßenden Jugendlichen hatten richtige soziale Probleme, kamen aus zerrütteten Familien oder hatten lange Heimkarrieren hinter sich, stammten nicht wie viele der frühen Punks aus mehr oder weniger gefestigten Sozialgefügen und waren wirkliche gesellschaftliche Außenseiter die keinerlei Chance mehr für sich sahen. ( LabernLabermeia: Oft gingen mir damals Sätze wie "Früher sagten wir "No Future", hatten aber Zukunft und waren bereit für Veränderungen einiges zu unternehmen, heute sagen die Punks nicht mehr "No Future", haben und sehen aber keine Zukunft mehr, wollen nichts anderes mehr als saufen" durch den Kopf.)
   Nach fast zweijährigen Bestehen lösen sich "Bonn-Duell" 1984 auf, zum einen wegen interner Streitereien und zum anderen da wir als Punkband keine mehr Zukunft sahen. Die vergangenen zwei Jahre hatten wir fast ausschließlich im Proberaum verbracht und Songs eingeübt die wir aber nur in Ausnahmefällen der Öffentlichkeit präsentieren konnten. Lediglich zwei einzige Male standen wir innerhalb dieses langen Zeitraums auf der Bühne, eine logische Folge der allgemeinen Apathie, da sich bei den Punks dieser Tage alles auf die Neubeschaffung von alkoholischen Getränken konzentrierte und kaum jemand noch wegen der Organisation von Konzerten oder ähnlichem tätig wurde. Kein Wunder, dass sich wegen dieser Reduktion auf unbeachtete Proberaumexistenzen Frustrationen entwickelten die sich dann gegen andere Bandmitglieder richteten.
   Zudem fand ich den bei vielen Mitgliedern der Punkszene anzutreffenden Hang zur Selbstzerstörung immer abstoßendender. Wegen der allgemeinen Konzentration auf "saufen" vernachlässigten oder verzichteten manche Punks gar ganz auf die nötige Körperpflege, dessen Folge Erkrankungen wie Krätze und Schleppscheiße waren, deren Symptome oft wie Orden getragen und präsentiert wurden.
   Bei den "Chaos-Tagen" in Hannover zeigte sich ein erster Wendepunkt. Ich selbst reiste wegen allgemeiner Unlust und fehlender finanzieller Mittel zwar nicht dorthin, aber da fast alle der Bonner Punks in Hannover waren konnte ich mir aus ihren Erzählungen ein gutes Bild der Ereignisse machen. Jedenfalls war dieses bundesweite Punktreffen eine Wiederholung eines Vorjahrestreffens, das wiederum eine Reaktion auf einen gemeinsamen Protest von Punks und Skins Ende 1982 gegen die polizeiliche Maßnahme einer "Punkerkartei" war, in der in völliger Unkenntnis visueller Unterschiede alle auffällig aussehenden Jugendlichen in einen Topf geworfen und aufgelistet werden sollten. Eigentlich sollten die "Chaos-Tage" dazu dienen eine Annäherung zwischen den verfeindeten Subkulturen der Punks und Skins herbeizuführen, aber wie schon im Vorjahr sorgten angereiste Nazi-Skins für eine noch größere Kluft zwischen den Gruppierungen. Zudem bewirkte das Auftreten der Punks einen weiteren negativen Effekt. Statt dem erhofften Bild einer sich optisch außerhalb jeglicher Norm befindender und dennoch lebenslustiger Szene wurde es in der Realität nichts anderes als ein großes Treffen auffällig gekleideter Alkoholiker, die zudem noch durch sinnlose Zerstörungswut auffielen. Als Folge der Ereignisse wandten sich viele kreativ tätige Punks von der Punkszene ab und der sich bildenden Hardcoreszene zu, ein Prozess, der ein oder zwei Jahre später ebenfalls in meinem Denken einsetzte und mein späteres Verhalten prägte.
   Meinen persönlichen Wendepunkt erlebte ich im September des Jahres, als eine halbe Hundertschaft von Neonazis den Kaiserplatz stürmte und alle Punks zusammenschlug. An diesem Tag war ich auch dort, aber glücklicherweise im Moment des Angriffs einige hundert Meter vom eigentlichen Treffpunkt entfernt. Da dieser nicht unerwartet kam, wir sogar durch Späher ständig über den momentanen Aufenthaltsort des anrückenden Schlägertrupps informiert wurden und alle Punks sich trotzdem nicht anders verhielten als an jedem anderen Tag, verlor ich jede Hoffnung darauf, dass die Punks vielleicht doch noch eine Gruppe wären die auf eine heranrückende Gefahr vorausschauend mit entsprechenden Verteidigungsmaßnahmen reagieren könnte. Davon war an diesem Tag aber nichts zu sehen. Wie Lämmer auf der Schlachtbank blickten die Punks dem herannahenden Unheil ins Auge, saßen am Brunnenrand, genossen die Sonne, tranken Bier und harrten apathisch der kommenden Dinge. Das war nichts für mich und der endgültige Grund in Zukunft auf lange Straßenbahnfahrten zu verzichten und mich den Troisdorfer Punks in einer mit dem Fahrrad erreichbaren Nebenstadt anzuschließen. Mittlerweile war sogar die Straßenbahnfahrt von Siegburg nach Bonn für einen einzelnen Punk gefährlich geworden, denn diese Linie wurde häufig von Neonazi- oder Skinhead-Gruppen aus den kleinen Ortschaften zwischen den beiden Städten genutzt die schon so manchen allein straßenbahnfahrenden Punk zusammengeschlagen und -getreten hatten. Ich sah keinerlei Grund mehr mich ständig diesem Risiko auszusetzen. Also fiel mir jener Schritt leicht, zudem einige Punks des TSH (Troisdorfer Sauf-Haufen) mir schon seit Jahren gut bekannt waren und die Lieblingsmusik der meisten ebenso wie bei mir der mittlerweile "Hardcore" genannte Ami-Punk war. (Wer mehr über die Anfänge der Bonner Punkszene lesen dem seien die von mir wiederveröffentlichen Fanzinetexte aus dieser Zeit empfohlen. )


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Die dortige Punkszene stand genau in der Mitte zwischen den zwei sich herauskristallisierenden Flügeln "Punk" und "Hardcore". Einerseits bevorzugten wir das optische Erscheinungsbild herkömmlicher Punks und das "saufen" spielte eine große Rolle bei jeglichen Aktivitäten (bei dem Namen "TSH" ziemlich logisch), andererseits hörten wir Hardcore und zeigten keinerlei Neigung der Selbstzerstörung und dem Zerfall zu huldigen. Jedenfalls wurde ich in der zweiten Hälfte der Achtziger wieder kreativ tätig und begann ein kleines Fanzine herauszugeben, ohne großartige Intentionen und nur aus dem Wunsch heraus für etwas Lesestoff für die Troisdorfer Punks zu sorgen. Ich veröffentliche meine Gedanken in dem fast ausschließlich nur im Troisdorfer Raum vertriebenen Egozine "Geistige Blähungen" und gleichzeitig erwachte mein Wunsch richtig Schlagzeug spielen zu lernen und Drummer in einer Punkband zu werden. So kam es auch, und erstmalig machte ich als Schlagzeuger in der kurzlebigen Band "Büchsen, Flaschen, Scherben" (Der Bandname war ein Wortspiel mit dem Namen der bekannten 68ger Band "Ton, Steine, Scherben") Musik, kaufte mir ein Schlagzeug und übte nach rasch erlernten Schlagzeugnoten.
Cover Geistige Blaehungen 1-3     Schnell begann die wachsende Hardcoreszene mich zu begeistern, fühlte ich mich durch meine Aktivitäten an jene während der Anfänge der Bonner Punkszene 1980 erinnert. Auch damals ließ ich mir von Bands oder kleinen Labels selbstherausgebrachte Platten zuschicken und verkaufte sie sowie verschiedene Fanzines am Berliner Platz. Nun war es Troisdorf statt Bonn und die auf Vinyl gepresste Musik hatte sich ein wenig geändert. Waren es früher erste Schallplattenproduktionen junger deutscher Punkbands gewesen, so waren es nun die junger deutscher Hardcorebands. Bei den wenigen Hardcorekonzerten war der Unterschied am deutlichsten zu sehen. Herkömmliche Punkkonzerte jener Zeit waren durch einen Halbkreis vor der Bühne und ein alkoholfixiertes Publikum gekennzeichnet, während bei Hardcorekonzerten alle an den Bühnenrand drängten und am ihnen ansah richtig geil auf die zu erwartende Musik zu sein. Auch das Publikum unterschied sich im Outfit von Old School-Punks. Nieten, Lederjacken oder Springerstiefel waren verpönt, dafür regierten Stirnbänder, Sportschuhe und zerfetzte Kleidung das Bild. ( LabernLabermeia: "Damals sahen die Besucher von Hardcorekonzerten oft wie amerikanische Punks und noch nicht wie in den neunziger Jahren wie wandelnde Merchandise-Kollektionen aus.") Während die Bonner Punks hauptsächlich althergebrachte Punkkonzerte besuchten, nahmen wir aus Troisdorf längere Fahrten in Kauf um Hardcorebands live zu sehen, fuhren knapp ein Dutzend Mal ins AJZ Bielefeld, mehrmals zum Chi Chi-Club im holländischen Winterswijk und einmal reiste ich allein mit dem Zug bis ins westfälische Münster um dort die "Skeezicks" live zu sehen.
    Zusammen mit anderen Hardcoreenthusiasten gründeten wir die Band "Nevertheless", bei der ich Schlagzeug spielte, wir selbst die Musik als "Speedcore" bezeichneten und als musikalische und textliche Einflüsse Bands wie "Heresy", "Stark Raving Mad" oder "Conflict" ansahen. Leider war auch diese Band nur recht kurzlebig, wir spielten einen einzigen Gig, in Troisdorf und zusammen mit den reformierten "Hass" aus Marl. Die Musik würde ich im Nachhinein als gut gespielten und extrem schnellen Hardcore bezeichnen, und ich fand es auferbauend, als nach unserem einzigen Auftritt ein langhaariger Metalhead zu mir "Ich habe noch nie so schnelle Musik gehört…" meinte. Der Selbstbezeichnung "Speedcore" wurden wir also gerecht.
Flyer Nevertheless     Einige Monate nach unserem Auftritt konnte ich erstmalig ein Buch in dem Texte von mir abgedruckt waren in den Händen halten. Der Herausgeber eines mir unbekannten Fanzines aus Düsseldorf hatte mich angeschrieben nachdem er irgendwie an einige Exemplare von "Geistige Blähungen" gekommen war. Er fragte mich ob er einige der dort enthaltenen Texte in einer geplanten Anthologie mit ausschließlich in der Punkszene beheimateten Autoren veröffentlichen könnte. Ich stimmte zu und nach einiger Zeit hielt ich ein Buch namens "Libido Depot" mit Texten aus den "Geistige Blähungen" in meinen Händen. Dass die Texte eines stark dem Alkohol zugeneigten Hardcoreliebhabers irgendwann mal in einem Buch abgedruckt werden könnten hätte ich nie gedacht. Naja, that´s life. Mittlerweile sind viele Jahre ins Land gegangen und man bekommt dieses Buch nur noch bei manchen Gebrauchtbücherhändlern im Internet.
    Zum ersten Mal bekam ich etwas für meine Schreiberei, nämlich zehn Freiexemplare. Diese dienten mir als Geldersatz, denn ich tauschte sie in meiner Stammkellerdisko "Club 81" gegen Bier ein, was mir für einen Abend Freigetränke einbrachte. Das war eindeutig mehr als ich