In diesem Kapitel habe ich die Themen "Punk" und "Schreiben" zusammengefasst, weil beide in meinem Leben eine eng verzahnte und wichtige Rolle spielten und eine Trennung der Bereiche eher Verwirrung schafft, als dass es einem besseren Verständnis dienlich ist.


Der Drang Geschichten schreiberisch zu erzählen machte sich bei mir bereits im Alter von 11 oder 12 Jahren bemerkbar. Ich erinnere mich noch damals ein oder zwei Schulhefte mit selbstersonnenen Stories voll geschrieben zu haben, weiß aber nicht mehr wovon diese handelten. Das ist aber überhaupt nicht schlimm, und wirklich gut finde ich die Tatsache diese Hefte schon seit ewigen Zeiten nicht mehr zu besitzen, denn wenn deren Lektüre mir noch möglich wäre, würde es bestimmt bisher unbekannte Höchstdimensionen eines Gefühls der Peinlichkeit erwecken.
   Auch in der Schule machte sich diese Veranlagung bemerkbar, für einige Jahre waren meine Aufsätze stets die besten in der gesamten Schulklasse und in den Jahresabschlusszeugnissen wurde meine Fähigkeit des schriftlichen Ausdrucks mit einer glatten "Eins" benotet. Schon damals hatte ich keine Lust mehr meine Geschichten mit der Hand zu schreiben und begann mit Hilfe eines Lehrbuchs das Zehn-Finger-System auf einer mechanischen Reiseschreibmaschine zu lernen.
   Mit dem Einsetzen der Pubertät endete erstmal meine Schreiberei, denn ich wollte Sachen erleben und nicht zu Hause sitzen und über niemals erlebte Sachen nachdenken. Aber nicht alle Aspekte des schriftlichen Ausdrucks waren mit Sprossen von Pickeln und dem zaghaften Wuchs ersten Bartflaums ad acta gelegt. Zwar schrieb ich nichts mehr, aber da ich eine erste elektrische Schreibmaschine geschenkt bekam setzte ich meine Lerntätigkeit sporadisch fort. Mit diesem Gerät ging das Üben merklich leichter, erforderte nicht mehr den gleichen fingerlichen Kraftaufwand wie das mechanische Trainingsinstrument.
   Ansonsten beherrschte Fußball und Stadionbesuche mein Denken (siehe "Ein bisschen Fußball") und natürlich wie bei fast jedem jungen Menschen dieser Zeit die Rockmusik. Jene gefiel mir meist aber nicht, die melodischen Songs erinnerten mich an deutsche Schlager aus der "Hitparade" mit lediglich englischen Texten und die "härtere" Rockmusik war nicht hart, sondern langweilig und pompös. Endlose Fideleien und das Gepiepe von Gitarrensolos und Orgelklängel nervten mich, wirkten einschläfernd und wenig rebellisch. Ich wollte eine Musik die dem Lebensgefühl eines aufmüpfigen Jugendlichen entsprach und wirklich "hart" war, am besten so "hart", dass Menschen einer älteren Generation nichts mit ihr anfangen konnten und diese Musik rundweg ablehnten.
   Ende der siebziger Jahre war es unter deutschen Jugendlichen stark verbreitet die "John Peel Show" auf BFBS zu hören, in der neue britische Singles gespielt wurden. Eines Abends hörte ich den Song "If the Kids are united" von einer mir bis dahin unbekannten Band namens "Sham 69". Das Lied begeisterte mich sofort. Songs mit durchgängig gespielten, harten und verzerrten Gitarrenklängen waren eine Seltenheit und besonders der Refrain gefiel mir, erinnerte mich von der Intensivität und der Reduktion auf wenige eingängige Zeilen her an oft gehörte Gesänge von Fußballfans. Sofort bestellte ich die Schallplatte in einem Siegburger Plattenladen, aber trotzdem dauerte es einige Wochen bis ich sie in den Händen halten konnte.
   Einige Monate vorher hatte meine Hauptschulzeit geendet, und da ich keine Lehrstelle gefunden hatte, aber mit 15 immer noch schulpflichtig war, kam ich auf eine andere Schule. Dort lernte ich Joachim kennen, der mich nach Ansicht meiner Schallplattenliste darüber informierte mit "If the Kids are united" eine Punkplatte zu besitzen. Von "Punk" hatte ich bis dato höchstens etwas in der "Bravo" gelesen, aber diese Musik selbst noch nie gehört. Die Nachricht, dass mein Lieblingssong keine für sich alleinstehende Ausnahme war, sondern ein Beispiel aus einer mir unbekannten Musikrichtung elektrisierte mich. Sofort kaufte ich mir weitere Punkplatten. Diese Musik war genau das was ich lange gesucht hatte. double_victory 1979 begann ich mich auch so zu kleiden wie die Punkmusiker auf den Plattencovern. Joachim dachte ähnlich, und wie um den Beginn einer gravierenden Änderung durch unsere neue Punkeinstellung zu symbolisieren gaben wir uns neue Namen. Fortan nannte er sich "Achmed" und ich trat seitdem als "Riss" auf. Bald waren wir auch nicht mehr auf selten zu findene Punkplatten in den "normalen" Plattenläden angewiesen, denn wir entdeckten in der Kölner Altstadt ein kleines Schallplattengeschäft namens "Rock-O-Rama", in dem es Unmengen englischer Punksingles zu kaufen gab.
   Innerhalb kurzer Zeit hatte sich in Bezug auf Punk bei uns einiges geändert, aber eines leider nicht: Wir waren immer noch alleine, zwei lederbejackte und kurzhaarige Außenseiter in einer mittelgescheitelten oder durch extreme Haarlänge gekennzeichneten Gesellschaft. Andere Punks kannten wir nicht und selbst in größeren Städten wie Köln oder Bonn konnten wir keinerlei Hinweis auf eine Punkszene entdecken. Diesen Zustand wollten wir ändern, selbst für die Entstehung einer Punkszene in unsere Gegend sorgen. Inspiriert durch die Artikelserie "Aus grauer Städte Mauern" über Punk in Deutschland in der Musikzeitschrift “Sounds“ (Ist sogar im Internet zu finden. Teil 1 hier, Teil 2 hier, und Teil 3 hier) beschlossen Achmed und ich Ende des Jahres 1979 ein eigenes Fanzine herauszubringen um endlich andere Punks kennenzulernen und vielleicht gemeinsame Aktivitäten starten zu können. Schnell einigten wir uns auf den Namen "Kanal-Kultur", erstellten und fotokopieren ein fast ausschließlich aus Plattenkritiken bestehendes Heft dreißigmal und legen es in den wenigen uns bekannten Plattenläden im Köln/Bonner Raum in denen man Punkplatten kaufen konnte aus.



Leider war das Endergebnis ziemlich suboptimal, sorgte Cover Tiefschlag 1-3aber indirekt trotzdem für einen Erfolg. Zwar hatten wir durch "Kanal-Kultur" nur drei Punks aus einer Nachbarstadt kennengelernt, aber als wir wegen dem Heft in Bonn unterwegs waren ereignete sich eine zufällige Begegnung, die sich als der Startschuss für die Entstehung einer Punkszene im nahen Bonn erweisen sollte. Dort trafen wir im Frühjahr 1980 die Mitglieder der Bonner Punkband "The Cosh" und verabredeten sofort einen gemeinsamen Konzertbesuch. Nach diesem beschlossen wir dann weitere regelmäßige Treffen auf einem öffentlichen Platz, und unser gemeinsames Auftreten an einem sichtbaren Innenstadtort sorgte rasch für einen weiteren Zulauf durch punkbegeisterte Jugendliche. So entstand binnen weniger Monate eine lebendige und durch vielerlei Aktivitäten gekennzeichnete Punkszene aus zwei oder drei Dutzend Leuten. Fast jeder der wenigen Punks war kreativ tätig, erlernte entweder die Bedienung eines Musikinstrumentes, versuchte eine weitere Punkband zusammenzustellen oder war schreiberisch aktiv. So war es auch kein Wunder, dass es im Laufe des Jahres 1980 drei oder vier regelmäßig erscheinende Fanzines in Bonn gab, was recht viel für eine kleine Szene wie jene am Berliner Platz war, da sich doch die Zahl der an der Lektüre interessierten Leser sehr in Grenzen hielt. Auch Achmed und ich beschlossen unser Fanzine weiter herauszubringen, waren allerdings mit dessen Namen unzufrieden und benannten das Heft in "Tiefschlag" um, brachten schon im Frühjahr des Jahres unsere zweite Ausgabe heraus.
   Cover Vorkriegsjugend In jenen Tagen gab es in der BRD alle paar Wochen mittelschwere bis schwere Krawalle, zum Beispiel an den Bauplätzen geplanter AKWs, bei den militaristischen Bundeswehrshows der öffentlichen Gelöbnisse und besonders die wegen der allgemeinen Wohnungsnot entstandene Instandbesetzerbewegung reagierte bei Hausräumungen und Demos oft gewalttätig auf polizeiliche Repressionen. Das Wort "Jugendprotest" war zu dieser Zeit in aller Munde und auch ich registrierte die Ereignisse mit wachsendem Wohlwollen, war Protest gegen die Gesellschaft der älteren Generation doch einer der bedeutendsten Bestandteile meines Denkens und ich begann Punk als eine extreme Spielart dieses "Jugendprotestes" anzusehen. Als Punk kam man automatisch mit den Protestierern selbst und mit den Auswirkungen ihres Aufbegehrens in Berührung, und einen der gravierendsten Eindrücke jener Zeit erlangte ich als ich im Frühsommer 1980 mit einigen Bonner Punks nach Berlin fuhr. Dies war mein erster Besuch in der zweigeteilten und wegen ihrer mitten in der ehemaligen DDR liegenden isolierten Lage oft "Mauerstadt" genannten Stadt, die eine riesige Punkszene besaß und Zufluchtsort für Wehrdienstunwillige aus dem Bundesgebiet war, da wegen dem Viermächtestatus dort lebende junge Männer nicht zur Bundeswehr eingezogen wurden. Wir waren mit dem Auto dorthin gereist und hatten erst an der Ausfahrt "Kurfürstendamm" die Stadtautobahn verlassen. Dort bot sich mir ein imposanter erster Eindruck von dieser Stadt, denn fast der gesamte Prachtboulevard lag in Scherben. Unzählige eingeschlagene Schaufensterscheiben und zertrümmerte Gehwegvitrinen erzeugten das morbide Flair einer tatkräftig rebellierenden Jugend, da wenige Stunden vor unserer Ankunft dort eine Demonstration der Hausbesetzer stattgefunden hatte. Auch wir nahmen direkt Kontakt zu den Instandbesetzern auf, blieben vier Tage in Berlin und konnten in verschiedenen besetzten Häusern übernachten. ( LabernLabermeia: Die erste Nacht verbrachte ich in einer Hausruine, die später auf dem Cover der "Vorkriegsjugend"-Doppel-EP abgebildet war, und über anderthalb Jahrzehnte später schmückte das gleiche und nun anders aussehende Haus das Titelbild von Suburbia 8. Die Welt ist halt klein.)