Im Jahre 1980 kleidete ich mich jeden Tag wie ein Punk, besaß aber keine mich eindeutig als FC-Fan kennzeichnenden Fanuntensilien mehr. Also ging ich alle zwei Wochen ausstaffiert mit kurzen Haaren, Lederjacke und zerrissener Jeans in die Südkurve. Dort wurde ich zwar oft komisch angeschaut, bekam aber meistens nie richtige Probleme. ( Labern Labermeia: Damals war eine gewisse Bedeutung von Fußball für einzelne Punks nichts Ungewöhnliches. Ich erinnere mich an ein Ereignis im Herbst des Jahres, als ich mit meinem Kumpel S. zu einem Punkfestival nach Duisburg fuhr. Während des Konzerts legte sich S. beschwipst …äh …volltrunken auf einen Sessel und schlief. Kurze Zeit später kam es draußen zu einer kleinen Straßenschlacht mit der Polizei. Gerade als sich die Beamten einem Hagel aus Bierflaschen und aus dem Konzertort stammenden Einrichtungsgegenständen ausgesetzt sahen, erblickte ich plötzlich S., der inmitten der Fronten verwirrt umherirrte. Er ging zu einem Polizisten und fragte ihn wie der FC gespielt hatte. Okay, das interessierte mich zwar auch brennend, aber irgendwie hatte ich in diesem Moment andere Dinge im Kopf als Fußball.)
   Erst nach den Ereignissen in Hamburg-Pöseldorf (Punks und Teds hatten im Sommer 1980 gemeinsam im Hamburger Nobelstadtteil Pöseldorf randaliert und für einigen Sachschaden gesorgt) und der danach einsetzenden Pressehetze gegen Punks wurde es deutlich ungemütlicher für mich. Durch die mediale Berichterstattung wussten viele der Jugendlichen in der Südkurve nun was für Leute die mit den kurzen Haaren und den Lederjacken waren, laut Zeitungsberichten halbtierische Gewalttäter die gegen alles seien und eine gefährliche Bedrohung darstellten. Schnell wurde es sehr ätzend, ich wurde oft beschimpft und manchmal sogar geschlagen. Irgendwann im Laufe des Jahres 1981 begann ich auf einen Stadionbesuch zu verzichten, die aufstrebende Punkszene und die Freiheit mich zu kleiden wie ich wollte war mir eindeutig wichtiger als jener. Fußball war ja nicht völlig aus meinem Leben verschwunden, war nur durch die allgemeine Ablehnung wieder auf Fernsehsendungen reduziert worden. Das gefiel mir zwar nicht, aber ich konnte damit leben.
   So kam es zu der paradoxen Situation, dass Fußballfans in den Folgejahren von Punks als gewalttätige Gegner betrachtet wurden und unter Punks das Interesse an Fußball immer verpönter wurde, einzelne Punks (so wie ich) aber immer noch eine große Vorliebe für diese Sportart empfanden. Folglich verbrachte ich mitunter sehr viel Zeit vor dem Fernseher, so zum Beispiel 1982, als ich als arbeitsloser Heranwachsender sämtliche Spiele der WM in Spanien schaute. Der Eindruck einer unter Fußballfans tonangebenden rechten Gesinnung erhielt immer wieder neue Nahrung, zum Beispiel 1984, als die Frankfurter Skinband "Böhse Onkelz" in einem Song zur EM zu einem "Frankreichüberfall" aufforderte und auch in anderen ihrer Lieder Gewalt beim Fußball anpries. Außerdem machte im gleichen Jahr die rechtsradikale Hooligantruppe "Borussenfront" von sich reden, fiel durch verschiedene gewalttätige Aktionen auf, wie zum Beispiel ihr erfolgter Angriff auf eine antifaschistische Demonstration, der Übernahme des Saalschutzes bei NPD-Veranstaltungen und deren federführende Beteiligung am Überfall auf den Bonner Punktreffpunkt Kaiserplatz durch Neonazis im Herbst 1984.
   Ungefähr ein Jahr später hörte ich zum ersten Mal von einer gegenläufigen Entwicklung, als mir ein befreundeter Hamburger Fanzinemacher erzählte, dass viele Punks und andere antifaschistisch denkende Menschen jedes Wochenende zu den Spielen des Stadtteilvereins St. Pauli gehen würden. Dieser Verein spielte zwar nur in der dritthöchsten deutschen Spielklasse, aber trotzdem nährten die Worte "dort gibt es einen richtigen Block aus Bunthaarigen" meine Hoffnung darauf hierin möglicherweise den ersten Vorboten eines neuen Trends zu sehen. Mittlerweile waren die Fankurven der Bundesligavereine deutlich von rechtem Denken dominiert, prägten Reichskriegsfahnen und Horden glatzköpfiger Schlägertypen deren Erscheinungsbild. "Es wäre schön, wenn Fußball auch wieder für nicht-nationalistisch denkende junge Menschen von Bedeutung wäre. Hoffentlich sind die Vorgänge in St. Pauli ein Anfang davon...", dachte ich damals und träumte von früheren Jahren als der Fußball noch nicht von Rechtsradikalen in Beschlag genommen war.
   Als der Verein den Aufstieg in die zweite Bundesliga schaffte wurde immer öfter in bürgerlichen Medien oder großen Punk- und Hardcorefanzines von der damals auffälligen Entwicklung bei diesem Verein berichtet, bei dem sich mit nationalistischen oder rechtsradikalen Symbolen schmückende Fußballfans keine Chance eines öffentlichen Auftritts mehr hatten. So gewann Fußball auch in Kreisen mehr "links" denkender Menschen wieder an Attraktivität, obwohl die Lektüre von Zeitschriften wie dem "Fan-Treff" noch ein erschreckend rechtslastiges Bild der Fanszene zeichnete.
   Während sich der FC St. Pauli sportlich stetig weiterentwickelte und Ende der Achtziger sogar für einige Jahre in der ersten Bundesliga spielen konnte, begann 1990 der sportliche und später auch finanzielle Abstieg des 1. FC Köln. Fortuna_Koeln.png, 51kBDer Grundstein hierzu wurde mit der überraschenden Entlassung des jungen Erfolgstrainers Christoph Daum durch ein selbstherrliches Präsidium eingeleitet, eine folgenreiche Fehlentscheidung, die den Niedergang des Vereins einleitete und ihn in schon nach wenigen Jahren von einem potentiellen Titelasprianten auf den Status einer "grauen Maus" ohne bedeutende Erfolgsaussichten degradierte.
   Trotzdem begann ich wieder mit sporadischen Stadionbesuchen, mied anfangs allerdings Müngersdorf und suchte stattdessen öfter die Spielstätte Lokalrivalen Fortuna Köln im Kölner Südstadion auf. Bochum_St._Pauli_29.04..png, 25kB Frankfurt_St._Pauli_14.10.1995.png, 40kB Als einen Höhepunkt in dieser Zeit betrachtete ich allerdings den Besuch eines Auswärtsspiels des FC St. Pauli, als ich im Bochumer Ruhrstadion (welches ich besonders schön fand, da es in den Neunzigern eines der wenigen reinen Fußballstadien in der Republik war) inmitten unter St.Pauli-Fans auf der Stehtribüne für Gästefans das 2.Liga-Spitzenspiel VfL Bochum – FC St. Pauli (Tabellenführer gegen Zweitplatzierten) verfolgte.
   BaldMuengersdorf.png, 113kB ging ich auch wieder um meinen geliebten 1. FC Köln zu sehen ins Müngersdorfer Stadion, stand allerdings meist nicht wie früher in der hauptsächlich von jugendlichen Fans frequentieren Südkurve, sondern verfolgte die Partien auf den meist von älteren Zuschauern bevorzugten Stehplätzen auf einer der Längsseiten. Sportlich gesehen war der Verein mittlerweile die Erfolgsleiter weiter hinabgestiegen, hatte die untersten Stufen der Bedeutungslosigkeit erreicht, war von einer "grauen Maus" zu einer Mannschaft geworden die Jahr für Jahr um den Klassenerhalt kämpfte. Aber auch die Fankultur im Stadion war anders geworden, da sich die jugendlichen Fans in zwei voneinander räumlich getrennte Bereiche gespalten hatten. So war der 1. FC Köln in den Neunzigern der einzige Bundesligaverein mit zwei gegenüberliegenden eigenen Fankurven, in denen sich jugendliche Anhänger versammelten und das Team durch Gesänge unterstützten. Einerseits die in der traditionellen Stehplatz-Fankurve am südlichen Ende des Stadions beheimateten "Kuttenfans", andererseits die sich mittlerweile abgesonderten Hooligans. StetsDuesseldorf_Koeln_20.08.1995.png, 49kB belegten letztere bei Heimspielen in mehrhundertköpfiger Zahl einem Sitzplatzblock auf der anderen Seite des Stadions und unterstützten die Mannschaft ebenfalls durch Gesänge und Sprechchöre. Praktischerweise lag dieser Block näher als die Südkurve am Stehplatzbereich der Gästefans, was fantrennende Maßnahmen ad absurdum führte und umging.
   Meine persönlichen Höhepunkte in dieser Zeit bestanden in privat organisierten Besuchen diverser Auswärtsspiele, wobei ich bei einer mehrtägigen Auswärtstour zum ersten Mal in meinem Leben den 1. FC Köln im Münchner Olympiastadion spielen sah, die weiteste Reise die ich jemals unternahm um den FC spielen zu sehen.
   Muenchen_Koeln_04.05.1996.png, 91kBGegen Ende des Jahrzehnts musste ich allerdings meine Stadionbesuche aus finanziellen Gründen einstellen, da ich arbeitslos wurde und nicht mehr das nötige Geld für derartige Aktivitäten besaß. Außerdem stieg der 1. FC Köln im Jubiläumsjahr seines fünfzigjährigen Bestehens erstmalig ab, verwandelte sich in wenigen Jahren zu einem Fahrstuhlverein der stets ein oder zwei Jahre in der gleichen Liga spielte, dann wieder auf- oder abstieg. Dieser Zustand änderte sich bis zu meiner Erkrankung nicht, und da ich als Umschüler weiterhin nur über geringe finanzielle Mittel verfügte, viel arbeitete und meine wenige Freizeit der Band "Pissed but Sexy" widmete kamen Stadionbesuche zeitlich und finanziell nicht in Frage, war Fußball wieder auf reinen TV-Konsum reduziert.