Bei derart hämischen Gedanken verging die Zeit recht schnell und sogar der lahme Kran wurde erträglich. Trotzdem konnte ich nicht abwarten wieder an der Maschine zu sein wo noch viel Arbeit auf mich wartete. Sobald ich einen dritten Hubel für den nächsten Durchgang direkt transportbereit gemacht hatte rannte ich zurück, interessierte mich nicht mehr für das was hinter mir lag. Vergessen war zum Beispiel die Klammer des Hebegerätes, die zum Glück diesmal bei dem ausgewählten Hubel direkt passte und sich deshalb sofort schloss. Bei manchen ging das nicht, die Klammer rutschte immer wieder ab und ich konnte den Rohling nicht anheben. Mir blieb nichts anderes übrig, als von hinten Reihe um Reihe abzutragen. Aufgrund der Länge des Hubels konnte ich ihn nicht selbst bewegen, dazu war er zu schwer. Am leichtesten war es ihn von zwei Seiten gleichzeitig zu bewegen, also musste ich gegen Feierabend oder zwischendurch einen Kollegen rufen, der mit mir zusammen den Rohling auf eine andere Seite rollte. Spätestens dann offenbarte sich der Grund für diese Verzögerung; ein mitten in der Welle liegender und durch das Gewicht plattgedrückter Masseklumpen war der Übeltäter. Dessen Herkunft war sofort klar, denn solche Klumpen hielten den runden Hubel beim Transport an Ort und Stelle, verhinderten ein Wegrollen. In der Regel wurden diese beim Abladen entfernt, aber um Zeit zu sparen pflegten die Bringer – die fast immer zu zweit arbeiteten – die Hubel zu rollen und zu werfen, verzichteten auf das Entfernen der 'Bremsklötze' und rollten sie einfach darüber hinweg. Aufgrund der Feuchtigkeit blieb so ein Klumpen manchmal hängen und da er sich nicht in Luft auflösen konnte und nur bis zu einem gewissen Grad verformbar war, hatte man manchmal das Pech, dass der Klumpen unglücklich lag und den Kran daran hinderte anhebend tätig zu werden. Aber heute lief alles gut, konnte ich bisher jeden Hubel mit dem ersten Griff nehmen.


   An der Maschine angekommen griff ich sofort zu dem neben dem Wassereimer liegenden Werkzeug, schnitt eine Rille in das am oberen Ende eines jeden Isolators befindliche Brennauflagefläche um ein Anhaften in diesem späteren Bearbeitungsvorgang zu verhindern, brach einige Kanten und zählte dabei die Schirme, die stets ein gutes Indiz für die bisher vergangene Zeit waren. Mit dem nächsten Werkzeug kam eine weitere Zusatzaufgabe ins Spiel, denn die Messer hinterließen an jedem Schirm einen schwachen Grad. Früher wurde er im nächsten Arbeitsgang des Schwämmens einfach weggedrückt, aber seit einiger Zeit gab es extra Werkzeug um diese per Hand nachzuarbeiten. Also entfernte ich den Grad, nahm mir für jeden Schirm genau eine Umdrehung Zeit, warf nach getaner Arbeit das Werkzeug auf seinen Platz und stülpte mir einen Gummischutz über den linken Daumen. Dieser war nötig, um beim Schwämmen die Führhand zu schützen. Zudem war der Gummi sehr dick, härter als die Haut und mit Sicherheit nicht gefühlsecht, was aber auch nicht vonnöten war. Einzelne Bestandteile der Masse wiesen eine so hohe Ritzhärte auf, dass sogar Stahl mit der Zeit dünn wie Pergament wurde wenn es zu einem Schleifeffekt kam, also musste die menschliche Haut erst recht vor einem solchen geschützt werden. Mehrmals hatte ich die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass die dauernde Reibung zuerst nicht wahrgenommen, die Haut aber an der betreffenden Stelle unaufhörlich weiter abgeschliffen wurde. Was zuerst wie eine gerötete Hautpartie ausgesehen hatte wurde dann plötzlich zu einer brandwundenähnlichen Verletzung aus deren Mitte ein wenig Blut hervorquoll und die jeden weiteren Kontakt mit Schmerzen quittierte. Smily Schmerzen Dies war nicht nur wegen der ständigen Schmerzen sehr unangenehm, sondern auch weil die Wunde wegen der ewig nassen Hände nur schlecht verheilte, manchmal wochenlang bestehen blieb.


   Den Daumen derartig geschützt tauchte ich meine Hände in den Wassereimer, presste den Schwamm aus, ließ ihn neues Wasser aufnehmen und machte mich ans Werk. Die Maschine drehte immer zwei von insgesamt 22 Schirmen, bisher waren acht fertiggestellt. Also wurde es Zeit für mich mit dem Schwämmen zu beginnen. Diese Schirme waren je nach Einsatzgebiet sehr groß, schützten sie doch vor Verschmutzung und damit vor einem möglichen Überschlag des Stromes. Außerdem hatten sie den Vorteil, dass sich die Gesamtlänge der Oberfläche erhöhte, was die elektrischen Eigenschaften des Isolators verbesserte. Aber für mich als einfachem Arbeiter war nur das Schwämmen selbst von Bedeutung. Dies diente dazu winzige Haarrisse die durch den Abdrehprozess an der Oberfläche entstanden und erst durch das Trocknen sichtbar wurden durch gleichzeitige Wasserzufuhr und Verreibung wieder zu schließen. Es galt die gesamte Oberfläche der Isolatoren zu bearbeiten, was leichter gesagt als getan war. Jeder Isolator musste zweimal mit dem Schwamm in Kontakt kommen, einmal mit einem nassem Schwamm zur eigentlichen Bearbeitung, und danach zwecks Sauberkeit mit einem trockenen. Ich pflegte zwischen dem sechsten und achten Schirm mit dem Schwämmen anzufangen, denn ein früherer Beginn wäre Zeitverschwendung gewesen und ein späterer erhöhte die Gefahr einer Unwucht.


   Für mich der ich einer solchen nicht manuell entgegenwirken konnte, stellte eine mögliche Unwucht eine Gefahr dar die es zu vermeiden galt. Dieses Problem entstand auf unterschiedliche Art, äußerte sich aber immer gleich. Der Isolator und manchmal sogar der ganze Hubel schlug an einer bestimmten Stelle aus, dieses steigerte sich schnell, der Isolator wurde immer kürzer, verlor schließlich seinen Halt und fiel aus der Maschine. Dabei konnte er, da dieses Fallen sehr unkontrolliert war, seinen Nachbarn beschädigen, ganz zerstören oder schlimmstenfalls, wenn der Revolverkopf herangefahren war, einen Messerbruch und damit einen uneinholbaren Maschinenstillstand hervorrufen. Um derartiges Verhalten, hervorgerufen durch zu starken Druck beim Schwämmen, krumme Hubel oder zu stark ausgeschlagene Mitnehmer, zu vermeiden, musste man entweder Ausrichten oder bei der Auswahl der Hubel und dem Zeitpunkt des Schwämmens genau aufpassen. Das Ausrichten bestand nur aus einem einfachen Schlag gegen die Unwucht, die Tonminerale rutschten auf ihrer Wasserhülle enger zusammen und der Isolator lief wieder gerade. Die Kunst hierbei bestand darin, die schlagende Stelle genau zu treffen und dabei nur soviel Kraft aufzuwenden wie nötig. Jeder lernte das mit der Zeit, nur ich tat mich sehr schwer damit, konnte es nicht, was bestimmt daran lag (so urteilte ich später), dass ich mir immer zu viele Gedanken zu machen pflegte. Auf meine Fragen nach dem Sachverhalt bekam ich keine oder nur unzureichende Antworten, auch die ansonsten immer alles besser wissenden Vorgesetzten konnten mir nicht helfen und ließen mich mit der Problematik alleine. Mir blieb nichts anderes übrig als im Falle einer Unwucht laut um Hilfe zu schreien – was ich allerdings aus Gründen des Stolzes schnell unterließ – oder den Isolator direkt auf mich zu aus der Maschine zu reißen, damit eine mögliche Verletzung in Kauf zu nehmen und zu hoffen, dass die Messer keinen Schaden nahmen. Solch ein Ausfall bedeutete mehr Arbeit da ich mich um die Beseitigung des Schrotts kümmern musste, also versuchte tunlichst derartige Störungen zu vermeiden, was mir leider nicht immer gelang.


   Aber heute lief alles glatt, die Hubel waren gut, ich war gut in der Zeit und außerdem hatte ich Nachtschicht, war die Gefahr durch Belästigungen von außen recht gering. Als ich mit dem Schwämmen fertig war, warf ich den benutzten Schwamm in das schlammige Wasser, das bei der nächsten Maschine sowieso ausgetauscht werden sollte, sich auf eine weitere Karriere in einem Waschbecken und danach in einem Quirl freute, bis es dann zwecks Reinigung abgepumpt wurde. Aber der weitere Weg dieses Wassers ließ mich kalt, vielmehr ging es nun darum, die beiden anliegenden Hubel für den Abdrehprozess vorzubereiten. Meine Hände waren noch nass, denn aus Zeitgründen verwarf ich ein Abtrocknen der Hände an dem schmutzstarrenden Handtuch das an der Abhebevorrichtung hing. Irgendjemand hatte es irgendwann einmal mitgebracht, hängen gelassen und jeder benutzte es, machte sich dabei aber keinerlei Gedanken über eine Säuberung. Normalerweise auch ich, es war einfach angenehmer trockene Hände zu haben, aber jetzt ging es um Sekunden, das Handtuch war zu weit weg und außerdem trockneten die Hände sowieso durch die Arbeit und die stehende, heiße Luft in der mit Maschinen vollgestopften, fußballfeldgroßen Halle.


   Mit der Erkenntnis, dass die Hände in wenigen Minuten wieder nass werden würden, es also Quatsch gewesen wäre wenn ich meinen minimalen Zeitvorsprung für Augenblicke der Trockenheit geopfert hätte, wandte ich mich sofort den beiden Hubeln zu die vor dem Einsetzen noch dafür vorbereitet, sprich auf eine eingestellte Länge gekürzt und am unteren zwecks besseren Halts angespitzt werden mussten. Da das obere Ende des Hubels an einer Stange anlag und so fixiert wurde, musste ich nur am unteren Ende ein Stück abschneiden. Hierzu war eigentlich ein voreingestellter Drahtbügel vorgesehen, aber außer zum Markieren benutzte ihn niemand, da der Draht zu schnell riss, der Kraftaufwand zu groß war um einen Hubel damit zu schneiden. So auch ich, den Drahtbügel nahm ich entgegen der Vorschriften nur zum Markieren, das überflüssige Ende schnitt ich mit einem Handdraht ab, den ich vorher und zu Hause selbst hergestellt hatte. Das hatte den Vorteil, dass man seine Kraft besser dosieren konnte, und außerdem war es möglich, bei einem unvermeidlichen Reißen des Drahtes sofort auf bereitgestellten Ersatz zurückgreifen, den Zeitpunkt der Reparatur also selbst zu bestimmen. So etwas war gut und zeitsparend.


   Wieder einmal waren die Hubel viel zu lang, Smily Ärgernmusste ich mehr abschneiden als ich zuerst gedacht hatte und aus dem Vorhaben eines schnellen Zerbrechens einer nur dünnen abgeschnittenen Scheibe wurde nichts. Also griff ich auf den Drahtbügel zurück, der sich, zurückgelehnt in seiner Halterung ruhend, hervorragend eignete, um das immerhin mehrere Kilo schwere Endstück in vier Teile zu zerkleinern. Dass ich mir dabei die noch weiche Haut der nassen Hände an einem spitzen Drahtende ein wenig aufriss, es leicht blutete, hielt mich nicht auf. Ich hatte jetzt keine Zeit für so etwas und wenn die Blutung nicht von alleine aufhörte konnte ich mich später zu Hause in Ruhe darum kümmern. Indem ich das Tonstück gegen den Drahtbügel stieß zerkleinerte ich jenes und warf die vier Stücke zu den Spänen, die sofort zu einem Quirl transportiert wurden und somit aus dem Bereich meiner Wahrnehmung verschwanden. So etwas wurde von vorgesetzter Seite oder allen die sich dafür hielten nicht gerne gesehen. Aber jetzt war niemand da, also konnte ich Zeit und Anstrengung sparen und mich auf eine Zigarette freuen. Für die abgeschnittenen Endstücke war eigentlich eine große Plastikkiste vorgesehen – bewegt wurde diese mit einem Hubwagen, der auch erst mal geholt werden wollte – in die man die Endstücke warf, um sie zum Schichtende gesammelt in eine Zerkleinerungsmaschine zu werfen. Abgesehen davon, dass das „in-die-Kiste-werfen“ auch ein gewisses Maß an Anstrengung und Zeitverlust kostete, sollte dieses Vorhaben zu einem Zeitpunkt ausgeführt werden, in dem der Körper nicht auf Bücken oder Anstrengung, sondern auf Ausruhen eingestellt war, und es deswegen besonders schwerfiel. Deshalb verzichteten viele Arbeiter auf eine separate Entsorgung und Nutzung der Plastikkiste, füllten sie nur mit einigen wenigen und den Anschein einer steten Benutzung vortäuschenden Endstücken.


   Als letzten vorbereitenden Arbeitsgang musste ich beide Hubel am unteren Ende anspitzen damit sie im Stand besseren Halt hatten. In anderen Firmen die die gleichen Produkte herstellten und dafür Maschinen neueren Typs nutzten war dies nicht mehr nötig, aber da in dieser Firma anscheinend die Zeit irgendwann in den fünfziger Jahren stehengeblieben war wunderte ich mich nicht zu den wenigen Arbeitern in Mitteleuropa zu gehören für die die Tätigkeit des Hubelanspitzens noch zu täglichen Arbeit gehörte. Aber dennoch war ich froh die anspitzende Durchmesserreduktion nicht auch am oberen Ende durchführen zu müssen. Bei manchen Artikeln war dies nötig, und wenn auch nur sehr wenig weggenommen werden musste war es stets ärgerlich, technisch überflüssig und aufhaltend.


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