Nach dem Anbinden wischte ich das Kopfteil des Isolators mit einem Schwamm ab und deckte es mit einem Pappstreifen zu, alles Tätigkeiten die nicht im Akkord beinhaltet waren und erst später dazugekommen waren, ersonnen von wahrscheinlich gelangweilten Vorgesetzten, die den entstehenden Zeitaufwand nicht bedacht hatten und trotzdem die vorherige Stückzahl wollten. Dabei nahm alleine das Besorgen der benötigten Materialien auch einige Zeit in Anspruch, wurde stets in den Pausen oder vor der eigentlichen Arbeitszeit erledigt.


   Zu guter Letzt stempelte ich das untere Teil mit meiner Nummer und einem Datum, stellte einen zuvor gesuchten und mit reiner Muskelkraft betriebenen Hubwagen so unter das Gestell, dass ich mich nicht stieß und ich zwei Maschinen später das Gestell sofort drehen konnte. Ein kurzer Seitenblick zu einem an einer ähnlichen Maschine arbeitenden und etwa zwanzig Meter entfernten Kollegen zeigte mir, dass dieser einen eigenen Wagen in seiner Nähe stehen hatte, mir also niemand den Wagen entwenden konnte. Dies war ein Vorteil der Nachtschicht, die Abwesenheit fast der gesamten Belegschaft und somit ein Fehlen potentieller Störer.


   Ein schneller Blick auf die Uhr und Richtung Maschine bei der der Revolverkopf mit den daran befestigen Messern mittlerweile herangefahren war und sein spanabhebendes Werk tat, bestätigte meine Planung sowie das Vorhaben, in dieser Stunde eine Zigarette zu genießen ohne allzu viel Zeit bei dieser Form des Müßiggangs zu verlieren. Smiley Schwitzen Die dafür benötigten Sekunden musste ich herausarbeiten, schneller als vorgesehenen sein, also blieb nicht viel Zeit für Überflüssigkeiten und ich erledigte nur die rudimentärsten Dinge. ‘Zigarettenmaschine‘ nannte ich dieses Vorhaben.


   Aber auch der noch in naher Zukunft liegende übernächste Abdrehvorgang sollte durch eine Zwischentätigkeit aufgelockert werden. Für diesen plante ich neues Wasser zu holen, da sich das Vorhandene langsam in einen zähflüssigen Brei verwandelte und sowieso alle fünf Maschinen durch sauberes ersetzt werden sollte. Außerdem sollte und musste ich dann sowieso einen neuen Schwamm zu verwenden weil sich der jetzige schon nach nur kurzer Benutzung langsam auflöste. Neue Schwämme waren immer eine Zusatzbelastung, denn die Oberfläche war noch hart, man musste zu sehr drücken, was stets zu auf die Unterarme tropfenden Wassers führte. Aber trotzdem freute ich mich auf die kommende Abwechslung, einerseits über die zu erwartende Zigarette, andererseits auf das Frischwasser, mit dem die Bearbeitung leichter von der Hand ging. Bei diesen Gedanken verdrängte ich die Tatsache, dass ich mich mit Zusatzaufgaben überhäuft fühlte, Zusatzaufgaben, die nicht zum Akkord gehörten, deren Erledigung von meinen Vorgesetzten erwartet wurden und bei deren Ersinnung sich sicherlich niemand Gedanken über Zeitaufwand und Materialbeschaffung gemacht hatte.


   Während die Maschine die oberen Enden der Isolatoren fertigstellte, eilte ich zu einer der zwei übermannshohen Wellen in der die Hubel abgelegt waren, riss die Abdeckung in Form einer riesigen und vor Austrocknung schützenden Plastikfolie beiseite und griff um neue Rohlinge anzulegen zu dem Steuerungselement einer Hebevorrichtung. Die Hubel waren aus einer tonähnlichen Masse hergestellt, bis zu einer bearbeitungsfähigen Härte getrocknet und ihre Bestandteile waren auf das Produkt ausgelegt, was einer regelmäßigen Kontrolle unterzogen wurde.


   Leider wandte niemand eine Kontrolle auf meine Kollegen an. Der Geschwindigkeit halber wurden die Rohlinge elektrisch auf Lederhärte getrocknet, von speziell dafür zuständigen Arbeitern transportiert, und manchmal versagte die Trocknung oder jemand machte einen Fehler und legte das Stahlnetz durch das der elektrische Strom floss nicht richtig an. Diese Hubel waren noch sehr weich, für den Formgebungsprozess absolut ungeeignet. Da für zusätzliche zu trocknende Hubel kein Platz vorhanden war überließ man der Einfachheit halber das Sortieren und manuelle Lufttrocknen den Drehern, wurden mitunter völlig unbrauchbare Hubel mitten in die Welle gelegt.


   Aber das interessierte mich im Moment nicht. Lieber beeilte ich mich. An einer anderen Maschine hatte ich mir schon mal die Füße blutig gelaufen, was sehr unangenehm gewesen war, zu drei Tagen Krankschreibung und Lohnausfall geführt hatte und wohl auf falsche Socken zurückzuführen war. Aber heute war ich froh, dass ich an einer Maschine arbeiten durfte bei der deutlich weniger Laufen angesagt war, obwohl ich mich ständig fragte wieso diese Maschinen den Beinamen Automat trugen, war hier doch wenig automatisch und die Arbeitszeit mit Zusatzaufgaben vollgestopft. Trotzdem war alles sehr einfach, die Arbeit nach einer Zeit der Einarbeitung zu schaffen und die Stückzahl erreichbar. Fast schon wie Urlaub. Aber nur fast. Denn auch hier fand wie fast überall in dieser Firma die Arbeit im Akkord statt, wurde man nach Stückzahl bezahlt und hatte vor der Schicht noch nichts verdient. Festgelegt und gestoppt wurden die Tätigkeiten von einem Mitarbeiter, der eine ähnliche Begabung für Mathematik wie ein wahrnehmungsgestörtes Milchmädchen zeigte. Oft wünschte ich, dass dieser Mensch eine neue Anstellung bei einem Leichtathletikverband fand und dort dieselbe Tätigkeit ausüben durfte. Jeder Marathonläufer hätte sich gewundert, wenn die Zeiten eines Sprinters hochgerechnet wurden und er sich sehr beeilen musste um eine Zeit zu schaffen die am Schreibtisch realistisch aussah. Smily Vogel zeigen Wenn ich gestoppt wurde übte ich mich vorher in Täuschung, erfand neue Tätigkeiten und heraus kamen meistens Stückzahlen, die in einem Bruchteil der vorgegebenen Zeit zu schaffen waren. Aber leider stoppte er auch andere, weniger einfallsreiche Menschen, die mit ihrer “das-schaffe-ich-zusätzlich“-Mentalität beeindrucken wollten. Das war natürlich Quatsch, die Vorgabe galt für alle, und eigentlich sollte man seine persönlichen Tricks geheim halten und nur zur Zeitgewinnung einsetzen wenn keiner zuschaute. Zudem waren die Akkorde nach oben hin begrenzt, das heißt man durfte nur eine bestimmte Prozentzahl schaffen, wenn man mehr machte war der Akkord offensichtlich falsch und wurde abgeändert, so dass die bisherige Spitzenleistung zu einer für alle geltenden Norm wurde, man also jeden Tag mehr machen musste um die gleiche Summe wie vorher zu bekommen. Dies war eine indirekte Art der Lohnkürzung, und folglich brachte es überhaupt nichts durch Erfahrung und Routine besser zu sein als jemand der diesen Job erst seit einem Monat machte.


   Mittels einem durch jahrelanger Erfahrung aussagekräftigen Daumendrucks prüfte ich alle erreichbaren Hubel auf ihre Konsistenz, freute mich keine als undrehbar aussortieren zu müssen und ließ mich nach hinten fallen, hielt mich dabei an der Schalteinheit fest. Dies war nötig, um den durch eine Art Klammer gehaltenen und vom Kran etwas angehobenen Hubel in Bewegung zu setzen. Der Kran lief zwar auf Schienen und konnte so schneller bewegt werden, aber bedingt durch die Trägheit der Masse und meinen für diese Tätigkeit zu geringen Körperkräften musste ich mir etwas einfallen lassen um mich nicht völlig zu verausgaben und trotzdem den Akkord zu schaffen. Wie ein Torpedo raste der Hubel auf mich zu, wurde mit einer federnden Bewegung abgefangen und ich drückte einen Knopf des für menschliche Hände viel zu groß geraten Steuerungselementes. Surrend setzte sich ein Elektromotor in Bewegung. Zwar lief alles auf Schienen, aber seitlich nur mittels Motor und nervtötend langsam. Ständig darauf bedacht, keine empfindlichen Stellen der Maschine zu berühren, da ich im Falle einer Störung weniger Geld verdiente und mehr Arbeit hatte, legte ich den Hubel in eine justierte Schale. Kaum das dieser geringfügig Bodenkontakt hatte, öffnete ich die Klammer und drückte einen weiteren Knopf, um mich Richtung Ausgangsposition bewegen zu können. Das ich dabei an dem zu langsamen Kran zog, deutlich schneller war, störte mich nicht, denn die mit dem Steuerungselement verbundene elektrische Leitung war keinerlei Belastung ausgesetzt, ein zusätzliches und deutlich kürzeres Stahlseil nahm jegliche kinetische Energie auf. Nachdem ich einen weiteren Hubel aufgenommen hatte, machte ich mich auf den Weg in Richtung zur anderen Seite der Maschine, die munter weiterlief und nicht auf mich wartete. Während meine Aufgabe in nichts weiterem bestand, als einen Knopf gedrückt zu halten, langsam wie ein alter Mann daherzuschlurfen und eine störrische, zentnerschwere Last zu bugsieren, lief die Maschine gnadenlos weiter. Der obere Teil war bereits fertig, der Revolverkopf fuhr zurück und drehte sich, zeigte ein anderes Werkzeug, und ich wurde ob meiner Zeitverschwendung etwas nervös und zappelig, wartete doch noch so viel Arbeit auf mich.


   Die abgedrehten Späne fielen auf zwei mitrotierende Scheiben und wurden von dort Richtung eines Förderbandes transportiert das zu einem Quirl führte. Meistens war ein Eingreifen hier nicht nötig, aber die Öffnung durch die eine Speisung des Förderbandes erfolgte, verstopfte manchmal und ließ nichts mehr durch. Nach einigen Sekunden türmten sich dann die Späne zu einem Berg, wollten nicht verschwinden und warteten auf mein Eingreifen. Dies passierte meistens während ich mit anderen Arbeiten beschäftigt war, kam daher stets überraschend und mir blieb in so einem Falle nichts anderes übrig als hinzuzustürzen und stochernd mit einer hölzernen Stange darauf zu hoffen auf diese Art das Problem zu lösen. Meist klappte dies, auch wenn die Maschine währenddessen weiterlief, nein weiterlaufen musste, da ich sonst kein Geld verdiente. In so einem Fall versuchte ich die verlorene Zeit durch Schnelligkeit wieder gut zu machen und musste mich noch mehr beeilen als sonst.


   Natürlich umtrieb mich auch in diesem Moment die Angst hilfloser Zeuge zu werden wie mein Zeitvorsprung durch Zusatzaufgaben vernichtet wurde, aber das Schicksal meinte es gut mit mir und alles lief störungsfrei. Bis auf den Kran, der mir zu langsam war und den ich sobald ich genug Platz dazu hatte überholte. Obwohl ich den Vorwärtsknopf weiterhin gedrückt hielt und dadurch nur eine Hand frei hatte, ging ich soweit das Stahlseil es zuließ nach vorne, nahm mit einem Werkzeug etwas von der unteren Außenhaut der sich drehenden Hubel ab und schmierte sie mit etwas Öl/Petroleumgemisch ein, damit der sie haltende Schlitten besser und ohne Reibung herabfahren konnte. Der Grund für diese Tätigkeiten war einfach. Da die Hubel aus einer keramischen Rohstoffgemisch bestanden, also bleibend verformbar waren, beständig aufgrund des Abdrehprozesses an Masse verloren und der ständige Druck von oben dabei immer gleich blieb, wurde der untere Teil des Hubels aufgrund dieser Faktoren während der Bearbeitung geringfügig breiter. Wenn man nicht vorausschauend tätig geworden war konnte dieser Effekt zu einem Ende der Drehbewegung führen. Mit dieser einfachen Maßnahme beugte ich so einem Stillstand der Maschine vor, der im schlimmsten Fall einen Messerbruch Smily Kreischenzur Folge haben konnte wenn man nicht schnell reagierte oder zu weit weg war. Natürlich war es schwierig seinen Halt zu bewahren, aber mit ein bisschen Übung ging dies und die eingesparte Zeit machte alles wieder gut.


   Fast achtlos ließ ich den Hubel in die Schale fallen. Für Bodenkontakt war keine Zeit, da ich mich schon auf dem Rückweg befand beziehungsweise den Rückwärtsknopf gedrückt hielt. Während ich in Zeitlupe zurückschlich, musste ich an die Vorschläge des Arbeitsministers denken der die Lebensarbeitszeit heraufsetzen wollte.


    „Ja, wenn man den ganzen Tag nur in Kissen furzt und Büroklammern bändigt geht das“, kicherte ich. „ Bei dieser Arbeit hier würde ein Sechzigjähriger bestimmt schlapp machen… oder vielleicht sogar tot umfallen. Aber das entlastet ja die Rentenkasse…


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