Aufbruchsstimmung (4)

Der letzte musikalische Höhepunkt im Jahr 1980 bestand in dem Anfang Dezember stattfindenden Auftritt der britischen Band UK Subs. Die schon seit den späten siebziger Jahren aktive Gruppe hatte bisher einige Singles veröffentlicht, die ich in den im Vorjahr in der Kölner Weidengasse entdeckten kleinen Plattenladen Rock-O-Rama alle erworben hatte (Labermeia: Für Achmed und mich war dieses Geschäft mit den hunderten von Punksingles 79/80 eine wahre Schatztruhe, gab es zu dieser Zeit doch kaum irgendwo Schallplatten dieser Musikrichtung zu erwerben, und wenn dann nur LPs. Später spielte der wegen seiner Geschäftsmethoden und seiner Hinwendung zur rechtsradikalen Skinheadmusik in Verruf gekommene Laden kaum noch eine bis gar keine Rolle mehr für uns),und sie wegen ihrer Cover Another Kind of Blues gitarrenlastigen und der damals recht schnellen Musik bei uns sehr hoch im Kurs standen. Endgültig spielten sich die UK Subs dann 1979 durch ihre erste LP Another Kind of Blues U.K. Subs  – ‎ 1. LP in unsere Herzen, die den gewohnten Songstil mit gutem Sound mischte und ein Kleinod des spätsiebziger Punkrocks darstellte. Als Vorband sollten die Cotzbrocken fungieren, die ich bisher zwar nie live gesehen hatte, mir die Band aber vom Namen und von diversen Lederjackenaufschriften her bekannt war. Beste Voraussetzungen für einen gelungenen Abend also, über dem ich später im Tiefschlag schrieb:

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03.12.1980

Bonn Nam Nam

Die UK Subs sind in der Tiefschlag-Redaktion ungeheuer beliebt, fast in jeder Ausgabe waren die UK Subs mehrmals erwähnt und daher war auch die Freude bei uns ungeheuer groß, als wir erfuhren, dass am 3. Dezember die Subs im Nam Nam spielen sollten. Die Karte war mit 11 Mark ziemlich billig, wenn ich da an den Preis für die Stiff Little Fingers-Karte (22DM) denke, muss ich sagen, dass elf Mark ein sozialer Preis sind.(Zu den SLF sind sowieso so gut wie keine Punx aus Bonn hingefahren). Ich traf mich also mit Achmed, Cheetah und einer mir unbekannten Punkette am Siegburger Bahnhof (wie immer), setzten uns in die Bahn (auch wie immer) und erstmal zum Volker eine Flasche Wein leermachen. Danach dann wieder inne Bahn rein und runter nach Friesdorf. Die Fahrt war öde, doch an der Haltestelle standen einige Punx und ein Haufen Bullen herum. Dung im Schlamm und No Fun und einige andere hatten wohl leicht Scheiße in der Bahn gebaut und diese zwanzig Minuten lang aufgehalten, was genau los war weiß ich auch nicht, aber im näxten Absperrkette wird ja alles wohl genau zu lesen sein. Auf dem Weg zum Nam Nam ging ich dann wieder bei Rot über die Straße, musste diesmal aber keine fünf Mark Strafe zahlen, da ich diesmal nicht dabei erwischt wurde (stolz!). Das Nam Nam war schon offen und drinnen trafen wir dann wieder einige bekannte Gesichter, Oberalkoholiker S. war da, viele bekannte Pseudos, Cölner Punx und auch Nigel Überdruck und halb No Scum hatten sich zu diesem großen Anlass mal wieder sehen lassen. Nach einiger Wartezeit und einigen Bierchen wurden erstmal alle wieder in die Kälte rausgeschickt damit die Kasse geöffnet werden konnte. Ich hatte meinen Pullover leider schon beim Bernd ins Auto gelegt, und so wurde mir leicht kalt, jedenfalls war ich froh, keine Frostbeulen bekommen zu haben. Wieder drinnen, dauerte es nicht lange bis die Vorgruppe, die Cotzbrocken aus Cöln, anfing. Den Titel des ersten Songs weiß ich nicht mehr, doch die Cotzbrocken zogen sofort mit schöner Pogomucke los und begeisterten gleich einen Großteil des Publikums. Wie lange sie spielten weiß ich auch nicht mehr, doch einige Songs schwirren mir immer noch im Kopf herum; die Gruppe brachte es voll und musste auch noch eine Zugabe geben, obwohl sich viele Punx ihre Kraft für die UK Subs aufsparten. Für mich sind die Cotzbrocken die beste Gruppe aus dem Bonn/Kölner Raum, Songs wie Bullen,Popper oder Wie siehst du denn aus? bringen es voll, ich hoffe, dass sie bald mal wieder auftreten werden.
In der Pause tauchte dann auch plötzlich Wastl auf und erzählte allen ganz stolz, dass er auf der Wache war und er jetzt auch in der Punkerkartei ist. In der Straßenbahn hatten wohl einige Punx Ärger gemacht und die Bullen hatten dann alle, auch unseren Wastl, mitgenommen. Wastl hatte sich immer noch nicht beruhigt, als die UK Subs auf die Bühne traten und mit CID U.K. Subs  CID loslegten. Sofort fing die Pogoorgie an, ich legte mich fast auf die Fresse und Achmed vergaß seine Bauchschmerzen und zeigte wieder einige Anzeichen eines leichten Pogowahns. Die Subs zogen sofort schnell ab, drei Songs wurden unmittelbar hintereinander gespielt, so dass es erstmal keine Verschnaufpause gab. Die Anlage war total laut eingestellt, wer direkt vor den Boxen stand hörte nur ein einziges Dröhnen. Das Nam Nam eignet sich gut für solche Konzerte, die Bühne ist ziemlich niedrig, so dass nach einiger Zeit und nach einigen weiteren aufstellenden Songs ein Teil des Publikums keine Lust mehr hatte vor der Bühne herumzutoben und auf der Bühne weiter machte. Jedenfalls gab es vor der Bühne ein totales Gedränge, manchmal sprangen einige Leute rauf und wurden sofort wieder runter geschmissen oder sprangen in die Menge, einmal versuchte ich es auch, bekam aber einen Schlag auf die Nase und verlor schlagartig die Lust daran. Auch S. bekam etwas ab, nach eigenen Aussagen benutzte irgendjemand sein Gesicht als Fußabtreter für seine Nagelstiefel.
Mir gefiel das alles, die Stimmung war gut und die Subs spielten und spielten als würden sie nie mehr aufhören wollen. Besondere Höhepunkte waren die schnellen Lieder Left for Dead U.K. Subs  Left for Dead und Rockers U.K. Subs  Rockers, aber auch zu Warhead U.K. Subs  Warhead und Tomorrows Girls U.K. Subs  Tomorrows Girls wurde eifrig Pogo getanzt. Laut Gerüchten nach sollten sie einen neuen Gitarristen haben, den ich aber nie zu Gesicht bekam, er soll der totale Heavy-Rocker sein, aber außer ein paar Solis merkte man davon nicht allzuviel. Die totale Show zog allerdings der kleine Harper ab, er brüllte und tanzte herum. Allen gefiel das obwohl er schon ziemlich alt aussieht. Irgendwann fiel auch mal ein Mikro aus, so dass nur noch Songfetzen aus den Boxen dröhnten, trotzdem wurde schön weitergepogot, und der Schaden war auch bald behoben. Nach einiger Zeit hörten die Subs dann erstmal auf, die Punx brüllten und forderten eine Zugabe, die auch gegeben wurde. Ich kann mich leider auch nicht mehr dran erinnern, wie oft das so weiterging, die Subs hörten öfters wieder auf und wurden dann wieder dazu gezwungen weiterzuspielen. Sie spielten dann alle möglichen Sachen, einige neue Songs, B-Seiten ihrer Singles, doch leider vermisste ich mein Lieblingslied Lady Esquire U.K. Subs  Lady Esquire. Tomorrows Girls wurde bestimmt dreimal gespielt, das Publikum und auch ich waren total im Rausch und es wurde weitergepogot, auf die Bühne gesprungen und gegrölt bis zum umfallen. Charlie Harper schrie auch noch, dass das Bonner Publikum das Beste in Deutschland sei und wieder ging es weiter.
Irgendwann war dann doch noch Schluss, ich war total von Schweiß durchnässt und fror dann draußen in der Kälte erbärmlich und brauchte gut anderthalb Stunden bis nach Hause. Solche Konzerte sollte es hier in Bonn öfter geben, mit zwei so tollen Gruppen und solch einer geilen Stimmung. Vom musikalischen her gesehen gefielen mir und anderen Bonnern die Cotzbrocken besser als die Subs, da diese zu viele Solis verwenden, aber live sind die dennoch der Hammer. Nur einer war nicht ganz so zufrieden, und deshalb fragte ich unseren Musikprofessor Tes-a-Film mal nach seiner Meinung zu diesem Konzert, damit auch mal einer zu Wort kommt, der wirklich "Ahnung von der Materie" hat. Tesa über die Cotzbrocken: "Die Texte sind ja ganz gut, doch die Musik ist total langweilig." Und über die Subs: "Das ist ja totaler Hardrock, ich freue mich schon auf morgen, denn bei Echo and the Bunnymen (Würg, Riss) ist endlich mal wieder Musik zu hören!" Dazu kann man nur eins sagen: Gute Besserung, Tesa!

Neben den Kölner Cotzbrocken existierte in derselben Zeit noch eine Band namens Kotzbrocken in Hamburg. An der unterschiedlichen Schreibweise des Anfangsbuchstabens lassen sich beide leicht unterscheiden. Dass gleichzeitig zwei Bands in verschiedenen Städten den gleichen Namen wählen kommt manchmal vor, aber in diesem Fall vermute ich einen ähnlichen Grund.1978 erschien in der deutschen Ausgabe der Satirecomiczeitschrift MAD eine Persiflage auf Punk und die Sex Pistols bei der die dargestellte Band den deutschen Namen "Kotzbrocken" trug. Es ist leicht vorstellbar, dass sich punkbegeisterte Jugendliche die in dieser Zeit eine Punkband gründeten für diesen Bandnamen entschieden. Leider habe ich kein Exemplar des Heftes aufbewahrt und im Netz finde ich nur die englische Version dieser Geschichte in der die Band einen anderen Namen trägt. Logisch, englischsprachige Menschen können wohl kaum etwas mit dem Begriff "Kotzbrocken" anfangen. Wer des Englischen mächtig ist oder sich die Geschichte nur einmal anschauen will sollte daher diesen Link wählen.

Schon im darauffolgenden Jahr 1981 spielten die UK Subs keine musikalische Rolle mehr für mich, waren sie durch die Entwicklung genauso wie viele andere Punkbands der Vorjahre in Vergessenheit geraten. Junge deutsche Gruppen wie Slime  Slime 1. LPDaily Terror Foto Daily Terror Daily Terror - Popperverklopper oder Hass Hass - Es tut weh waren nun meine Favoriten. Deren Musik war schneller und aggressiver, zudem entsprachen ihre deutschsprachigen Texte haargenau meinem damaligen Lebensgefühl, spiegelten sogar stellenweise meine täglich erlebte Realität wider. Auch faszinierte mich der Sound US-amerikanischer Punkbands weitaus mehr als der ihrer britischen Vorgänger, fand ich neben dem bisherigen Gesamtwerk der Dead Kennedys 1. LP die ersten EPs von Bands wie Teen Idles Teen Idles EP oder S.O.A. S.O.A.-EP 1. LP um Längen besser als das was der englische Punkrock bisher hervorgebracht hatte.
    Während ich also nie wieder ein Konzert der UK Subs besuchte sah ich die Cotzbrocken  ein zweites Mal, als sie zusammen mit den Fehlfarben (komische Zusammenstellung, unterschiedlicher können zwei Bands und deren jeweiliges Publikum doch nicht sein…) ein oder zwei Jahre später in den Rheinterrassen auftraten. Dieser Auftritt war allerdings eine Enttäuschung, denn der Hauptgrund warum mir die Cotzbrocken  im Nam Nam so gut gefallen hatten war der Gesang gewesen. Der alte Sänger war aber nicht mehr dabei, sondern durch jenen Punk ersetzt worden der bei den Proberaumaufnahmen im Film Randale & Liebe (Youtubelink) am Mikro steht und auch auf der 1981 beim obskuren Rock-O-Rama-Label erschienen LP Jedem das Seine zu hören ist. Dessen Gesangsstil einer minimalmelodiösen Singbrüllerei mochte ich nicht, und da es in jener Zeit viele neue deutschsprachige Punkbands gab die musikalisch und vom Gesang her deutlich besser als die Cotzbrocken  waren geriet die Band fast automatisch in Vergessenheit. Umso mehr wunderte es mich, dass die Cotzbrocken  in den neunziger Jahren als eine frühachtziger Kultband angesehen wurden. Sachen gibt's…



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