Aufbruchsstimmung (2)

Diesmal möchte ich einen Artikel über das erste große Punkfestival in Bonn in Erinnerung bringen. Hintergrund: Irgendwann während des Jahreswechsels 79/80 wurde in Bonn von sieben Leuten der Verein "Rock in Bonn" gegründet. Der Gründungsgrund bestand in der Unzufriedenheit mit den fast ausschließlich unter rein kommerziellen Aspekten agierenden Konzertveranstaltern, da diese lokalen oder weniger bekannten Bands keine Auftrittsmöglichkeiten boten, aus Gewinnerzielungsgründen nur auf bekannte Namen zurückgriffen und zusätzlich alle Musikrichtungen ignorierten die abseits des Massengeschmacks lagen. Nachdem der Verein einige erste Konzerte mit aus dem Deutschrock/Hippierock-Spektrum stammenden Bands organisiert hatte (die entweder in den Rheinterrassen oder im Nam Nam aufgetreten waren), wandte sich der Verein im Sommer des Jahres 1980 in der Sparte "Neue Musik" der lokalen Musikszene zu. In Bezug auf Verbindungen war dies keine Schwierigkeit, denn "Rock in Bonn" verfügte dank persönlicher Kontakte über einen direkten Draht zur jungen Bonner Punkszene. So war es kein Wunder, dass der Verein Ende August 1980 ein erstes, genanntes Festival der neuen Musik im Bonner Nam Nam organisierte.
   Neben den Rheinterrassen (zu dem ich schon im Blogbeitrag zum Konzert des KFC Näheres gesagt habe) war das Nam Nam einer der Orte in Bonn in denen 80/81 die meisten Punkkonzerte stattfanden. Jenes war eine Kneipe in einem zwischen Bonn und Bad Godesberg gelegenen Stadtteil, die einen dem Schankraum angeschlossenen und mehrere hundert Leute fassenden Konzertraum besaß und damit als Austragungsort für Veranstaltungen in Frage kam. Leider hatte das Nam Nam ein kleines Manko in Form einer lokalen Rockergruppe, die regelmäßig die Gaststätte frequentierte, sie als ihr Revier ansah und die Punks als Eindringlinge in jenes betrachtete. Probleme waren also vorprogrammiert. Dennoch verliefen die Konzerte in den ersten Monaten relativ störungsfrei, stellten Auseinandersetzungen mit den Rockern höchstens unangenehme Randerscheinungen dar, da diese in der Regel an Tagen wenn im Nam Nam ein Punkkonzert stattfand auf ihre Anwesenheit verzichteten. Das ging bis zum im September 1981 stattfindenden dritten -Festival gut. Zu diesem Anlass trafen sich die Rocker und gingen unter Anwendung von Gewalt geschlossen gegen Punks und Konzertbesucher vor, schlugen mit Schlaginstrumenten aller Art auf das Publikum ein und setzten damit jeglichem Konzertengagement von "Rock in Bonn" im Nam Nam ein Ende. (Ein alter Fanzineartikel zu diesem Konzert kommt später auch noch.)
    Aber im August 1980 war das noch Zukunftsmusik. In jenen Tagen organisierte der Verein dort ein erstes Festival bei dem ausschließlich lokale oder aus dem Umland stammende Punk/New Wave-Gruppen auftraten. Im Tiefschlag stand später folgendes dazu:

  23.08.1980 Bonn Nam Nam

Also, ich sitze jetzt an meiner Schreibmaschine und versuche einen Artikel über ein Festival schreiben, dass vor fast zwei Monaten stattfand. Ich krame krampfhaft in meinem Gedächtnis.
Also das war so. Aufm Weg zum Nam Nam haben wir, S. und ich, uns natürlich prompt verfahren und sind zwei Haltestellen zu spät ausgestiegen, aber zum Glück trafen wir Tesa und den Walter Willenlos, die uns den richtigen Weg zeigten. Kaum aus der Bahn raus, sahen wir Achmed und nen Haufen mir unbekannte Typen die sich Punx nennen von zwei Bullenwagen umzingelt. Der Tesa bekam sofort Angst und verzog sich, Achmed lallte irgendwas (die zwei Büchsen Bier haben voll reingezogen), die Bullen glotzten doof als wir etwas mit Bier rumspritzten, sagten aber nicht viel. Dann, während wir durch die Friesdorfer City marschieren, kurvte immer so ein kloakengrüner VW Passat mit zwei Jammergestalten drin um uns herum, und siehe da, es sind unsere besten Freunde, die staatlichen Vollzugsorgane, manchmal auch ungerechter Weise mit Verdauungs- und Ausscheidungsorgane betitelt. Schließlich erreichten wir einen Fußgängerübergang mit Ampel, vor der unsere Freunde standen. Die Ampel zeigte rot und Achmeds Bruder Frank und ich gingen natürlich rüber, fest daran glaubend, dass die anderen uns folgen würden. Doch Achmed und die anderen standen schön brav an der Ampel, innig an Mamis Spruch denkend den sie ja schön auswendig gelernt hatten: „Bei Rot da sollst du stehn, bei Grün darfst du gehn.“ Jedenfalls stochten die Bullen sofort hinter uns her und nach einigen Palaver durften wir dann fünf Mark bezahlen, sonst hätten wir die Bullen mit zur Wache begleiten dürfen. Irgendwann kamen wir dann doch nach am Nam Nam an, einige Punx waren schon da, sogar einige Auswärtige aus Hagen. Kurz darauf fingen dann die Lokalmatadore von The Cosh an, wir erwarteten schönen Pogo, doch allzu schnell waren sie nicht. Tommi, der Sänger war so gut wie gar nicht zu verstehen und das Publikum stand auch nur schlaff herum. Zu guter Letzt vertaten sie sich auch noch mit ihren Songs, so dass es doch ziemlich chaotisch wirkte. Jedenfalls spielten sie nicht lange und waren auch ziemlich sauer, so dass die Gruppe nach diesem Gig auch auseinanderging, doch Volker, Nigel und Georgie wollen ja bekanntlich weiter machen.
Danach kletterten so einige ältere Herren auf die Bühne die sich G  nannten und mit einer Mischung aus New Wave und Hardrock begannen. Naja, etwas Pogo ab es schon, da Achmed jetzt schon ziemlich besoffen war und seinen tollen Pogo-Solo-Tanz aufführte, der meistens damit endete, dass er sich auf die Fresse legte. Meiner Meinung nach spielten G  viel zu lange, auf die Dauer nervte diese komische Musik total, und so war ich auch sehr froh, dass sie dann doch noch aufhörten. Danach kurze Pause und dann kam meine absolute Bonner "Lieblingsgruppe": Splitter! Heute mal nur als Duo, einer quietschte auf dem Synthi rum und noch so einer setzte sich auf einen Stuhl, sang und brüllte herum und vergewaltigte dazu seine Gitarre. Diese exzellente musikalische Darbietung forderte S. dazu auf, mal wieder zu zeigen, dass er am weitesten rotzen kann. Ab und zu traf er auch mal, einige andere machten auch noch mit und so wurde dem Sänger etwas feucht, doch leider ließ er sich überhaupt nicht davon beeindrucken, so dass es uns bald langweilig wurde und wir die Künstlerhalle verließen und an die frische Luft gingen. Draußen hörten wir es noch viel zu lange Pfeifen und Piepen, aber dann war doch endlich mal Stille. Wir gingen wieder rein und warteten auf die nächsten Gruppe, bei der Shunt mitspielt, , die sich jetzt aber "Die synthetische Welt" nennen. Die brachten wieder Synthitöne, diesmal aber erträglicher, sie stellen sone Mischung aus Gary Numan und Human League da. Zum Einschlafen ganz gut, aber live? Jedenfalls sollen die Texte gut gewesen sein, von denen ich gar nichts mitgekriegt hatte.
Auch hörten bald auf und alle warteten diesmal echt gespannt auf die wohl schon bekannteste Gruppe, die schon durch einige Auftritte bekannt gewordenen . Ich glaube, die haben sich von Gig zu Gig gesteigert, jedenfalls rissen sie fast jeden Punk mit, so dass es endlich mal richtig Pogo gab. Der einzige Nachteil bestand in den dummen Normalo-Arschloch, das mit pogote und dabei ziemlich hart war und so einigen Missfallen erweckte. Kommentar eines Bonner „Scheiße, ich hab mein Messer nicht mit. Weiter weiß ich nichts über zu sagen, nur dass ich beim Pogo einmal voll auf die Fresse geflogen bin, aber sonst?
Nach hauten wir dann ab, obwohl noch zwei Gruppen auftreten sollten. Aber ich hatte absolut keine Lust mehr, die Avantgarde-Töne Von und Anlieger Frei WischiWaschi 1 zu hören, und zuhause musste ich mich erst mal bei der Germs-LP Germs GI-LP entspannen (Punkband aus Los Angeles, galt neben den in Deutschland fast völlig unbekannten The  Middle  Class  The Middle Class – Out of Vogue-EP als das musikalisch Härteste überhaupt), da ich ja sonst fast durch das ganze Synthi-Gepiepe einen seelischen Schaden davongetragen hätte.

Ein bisschen Zeitgeschichte: Die Liste der auftretenden Bands ist exemplarisch für die frühen achtziger Jahre und spiegelt die damalige Fraktionierung der Punkszene wider. Bis etwa 1981 galt alle Rockmusik die irgendwie anders war als die bekannten Spielarten und deren Musiker zumindest ein bisschen an das Aussehen von Punkmusikern erinnern als Punk oder New Wave. Ende der siebziger Jahre firmierten ebenso nach britischen Vorbildern gestylte Punks unter der Bezeichnung "Punk", wie kurzhaarige und von künstlerischen Anwandlungen geprägte junge Menschen, deren visuelle Mainstreamablehnung sich oft auf die Frisur sowie einer mit wenigen Badges geschmückten Anzugsjacke reduzierte. Während Erstere gitarrenlastige und Rock 'n' Roll-basierte Punkmusik favorisierten und "Pogo-Punk"- oder "Lederjackenfraktion" genannt wurden, bevorzugten Zweitere "Neue Musik", die oft mit Synthesizern und diversen elektrischen Gebrauchsgeräten erzeugt wurde. Hamburg galt als Hochburg der Lederjackenfraktion, die Düsseldorfer Szene um den Ratinger Hof als Zentrum der kunstbewegten Exzentriker (In dem Ordner "Frankfurt 1979" bei "Punkfoto" kann man sehen was alles für Bands in dieser Zeit unter dem Motto "Punk/Neue Welle" auftratenBilder Frankfurt 1979). Im Laufe des Jahres 1980 steigerten sich die Diskrepanzen zwischen den beiden unterschiedlichen Flügeln (Labermeia: Der Song „Nein Nein Nein“ ‘Nein Nein Nein’ von der Hamburger Band Buttocks ist textlich ein gutes Beispiel für die damaligen Auseinandersetzungen), bis sie sich im Folgejahr voneinander weg entwickelten und sich trennten. Aus der Lederjackenfraktion wurde der "Lauter, Schneller, Härter"-Flügel und Teile der Produzenten von elektronischer Musik gestalteten ihre Lieder eingängiger, strebten nach Charterfolgen und Plattenverträgen. Jene Ziele erreichten sie manchmal auch, als die Industrie diese Musik nochmalig geglättet als "Neue Deutsche Welle" vermarktete und zu einem kurzzeitigen Trend hypte. (Labermeia: Einige Punkbands der späten siebziger Jahre waren auch bei der "Neue Deutsche Welle" dabei. So entstand aus den mehrmals live gesehenen KFC die NDW-Band "Nichts" welche sogar mit "(meine Stimme im) Radio" einen ersten allseits bekannten Hit landeten.) Ich persönlich zählte mich zum "Lauter, Schneller, Härter"-Flügel, während das Fanzine Datenverarbeitung zur avantgardistischen Musik tendierte. Ich konnte nichts an der Musik der "Neue Deutsche Welle" finden, die für mich nur eine mit Synthesizer-Klängen unterlegte Mischung aus Kinderliedern und grenzdebiler Schlagermusik waren, untermalt mit deutschen Texten die oft neue Höchstwerte auf der Infantilitätsskala erreichten. Langweilig, ätzend, ähnlich rebellisch wie ein gescheitelter Klassensprecher und rundum Schwiegermutterkompatibel. Zum Glück verschwand sie so wie jede von der Unterhaltungsindustrie gelenkte musikalische Modewelle nach wenigen Jahren wieder von der Bildfläche und aus den Gehörgängen.
   Ein bisschen Ausblick: Im nächsten Beitrag erscheint dann ein Konzertbericht über den Auftritt der in den Bonner Rheinterrassen, der einen weiteren Höhepunkt in einem an Höhepunkten reichen Herbst darstellte.

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