Schlussakkorde (4)

Das letzte erwähnenswerte Ereignis fand Ende Oktober in den Kellerräumen einer alten Schule in Troisdorf-Oberlar statt und war ein von der zwar kleinen, aber sehr rührigen und kreativen, Troisdorfer Punkszene organisiertes Konzert mit mehreren Punkbands aus Troisdorf, Bonn sowie den Neuwiedern . Besonders gespannt war ich weil ich selbst beim ersten Auftritt meiner neuen Band auf der Bühne stehen sollte (Labermeia: Da ich immer noch kein Instrument spielen konnte war ich deren Sänger und wollte, dass wie eine Mischung aus meiner Lieblingsband Crass Crass 'So What' und den US-Amerikanischen Teen Idles Teen Idles 'Deadhead ' klangen, was natürlich eine rein theoretische Wunschvorstellung war und praktisch voll in die Hose ging. Aber wenigstens hörte es sich wie "Musik" an, war also ein deutlicher Fortschritt in meinen musikalischen Aktivitäten). Da der Tiefschlag einige Wochen vor diesem Konzert eingestellt wurde und in der letzten Ausgabe lediglich mit einer Ankündigung darauf verwiesen wurde, möchte ich darüber einen Artikel aus der zweiten Ausgabe des Bonner Fanzine Bonner Perspektiven wiederveröffentlichen. Dessen Mitarbeiter "Schmunzel" schrieb damals:

31.10.1981

Troisdorf-Oberlar Ehem. Grundschule

Foto: Samir Onsa

Als erste Band die spielte war glaube ich Gestapo Anti Fascism. Mit Nof anna Klampfe, Dung am Bass, Ritchi anna Stimme irgendjemanden dessen Namen ich nicht weiß, der aber sehr gut Schlagzeug spielte. Sie spielten nen paar alte Songs von und nen paar neue Stücke. Alles in allem bleibt mir nur zu sagen: saugut, saugeil, sauschnell. Es wurde gepogt und die Stimmung war gut. Bla bla bla. Danach spielte ne andere Gruppe deren Namen ich nicht weiß, auch gut, schnell, abwechslungsreich (teilweise Ur-Punk). (Labermeia: Höchstwahrscheinlich aus Troisdorf). Als besagte Gruppe fertig war spielten . Viele fanden die wohl nicht so gut, aber ich fand sie genauso geil wie Gestapo Anti Fascism.Trotz meinem "More Pogo", "Toxo Plasma", Foto: Samir Onsa"Zugabe" und "Kröte is blöde" ließ sich das Publikum nicht dazu bewegen mit zu pogen (wegen meinem Schnupfen & Husten sah ich mich leider dazu gezwungen öfters Pausen einzulegen, pogte aber mit dem vernünftigem Teil des Publikums so gut es ging). Wenn man aber dann wieder so Leute sieht (diverse Niet-Pönx) die einen von hinten anhüpfen, kann man sauer werden und ich fühlte mich wiederum gezwungen (mit ein paar anderen wie Kröte und so) besagte Leute aus der Türe zu pogen. Als dann leider aufhörten spielten mit Riss am Mikro (Labermeia: In den Achtzigern war ich unter den Namen "Riss" bekannt), Stevie am Bass, nem guten Gitarristen (den Namen hab ich wieder vergessen) Foto: Samir Onsaund glaube ich dem Trommelmann von Gestapo Anti Fascism. Sehr gut, auch abwechslungsreich, manchmal langsam manchmal sauschnell (Ich kann nur Tiefschlag zitieren: "Ich frage mich wie man so schnell singen kann"). Danach (als fertig waren) wollten wir eigentlich alle ins Wohnzimmer (Labermeia: So nannten die Troisdorfer Punks ihre damalige Stammkneipe. Ich war damals auch mal dort, die sah echt aus wie ein Wohnzimmer), aber leider kam ein großer Teil von uns dort nicht an… Also der Reihe nach…
Ca. 20-30 Pönx gingen Richtung Wohnzimmer, und ungefähr 50 Meter davor kamen plötzlich Asis & Türken. Ich hab die überhaupt nich gesehen. Nun ja, alles geriet in Panik und fing an zu rennen. Mir sagte ein Pönk der an mir vorbeirannte, dass die Asis hinter uns her waren. Also dachte ich mir, dass ich besser mal mit renne. Ein paar Ecken weiter bemerkte ich, dass einige von uns fehlten. Also rief ich den anderen hinter mir zu, dass sie zurück kommen sollten, aber die rannten alle noch schneller weg. Nur Bimbo, ich und irgendein anderer blieben zurück. Wir liefen also wieder an den Tatort zurück und fanden nur noch einen Pönk der sich den Bauch fest hielt. Er hatte nenn Stiefel abgekricht. Von ihm erfuhren wir, dass Pank sei Dank nur noch einer was abgekricht hatte, der konnte dann aber mit noch auf einem Fahrrad flüchten. Jetzt waren natürlich alle die, die vorher sagten: „Wir halten zusammen wenn die Asis kommen“ in alle Richtungen verstreut. Am Bahnhof trafen wir dann noch welche. Ich versuchte ihnen klar zu machen, dass wir zusammen bleiben sollten, aber … wollte natürlich wieder alleine abhauen (über die Schienen). Ich sah dann noch ein paar Asis und Türken in die gleiche Richtung laufen. Ich will ja nicht weiter auf das peinliche Verhalten von uns eingehen, als dann noch ein paar Leute hinzukamen, kam noch eine ziemlich groß aussehende Gruppe in einiger Entfernung um die Ecke ... alles begann wieder zu laufen ... ich brüllte ihnen hinterher, dass das auch alles Punx sind ... nun blieben sie dann wieder stehen. Wir gingen dann alle (ca. 20 - 30 Leute) zum Bahnhof. Nach ein paar Minuten kamen dann die Türken und die Asis … eine Menge Leute mussten was einstecken, vor allem die beiden Fabiane und natürlich wieder Holga. Irgendwann kamen die Cops ... ich glaube das war das erste Mal, dass ich mir die Grünen gewünscht hab... Die blieben ne Zeit bei uns und sagten dann sie müssen jetzt wieder fahren… Wir schafften es noch ohne weiteren Stress in den Bus zu steigen und nach Siegburg zu fahren. Dort warteten wir auf die Bahn und stiegen dann alle ein, nur Fabian wurde nach einiger Zeit vermisst. Jemand sah aus der schon fahrenden Bahn nach draußen und sah wie Fabi von den Asis fest gehalten wurde. Keiner wusste woher die kamen. Klaus rannte zum Bahnfahrer… Irgendjemand zog die Notbremse. Einer öffnete die Türe ... ein paar von uns liefen raus … die haben glaube ich Fabian geholt. Fabian hat sich jedenfalls den Finger gebrochen... ich wunderte mich, dass es danach keinen Bullenpower mehr gab....

Das Verhalten des Publikums während des Konzerts und die Ereignisse danach waren irgendwie typisch für den Zustand der Punkszene Ende 1981. Sie war im Verlauf des letzten Jahres zwar stark gewachsen, aber fast alle der Neupunks bevorzugten das passive Konsumieren der mittlerweile leicht zu bekommenden Punkaccessoires, zeigten kaum Interesse für irgendetwas Punktypisches selbst tätig zu werden. Besonders bei Konzerten wurde diese abwartende "Mal schauen was ich geboten bekomme"-Mentalität deutlich. Statt wie wir noch Anfang des Jahres beim ersten Ton einer auftretenden Punkband vor die Bühne zu stürzten (egal wie die spielerische Qualität der Band war, egal wie viele Menschen den Konzertraum füllten) und sofort in ausgelassenen Pogo verfielen, standen sie meistens nur still vor der Bühne, so als wollten sie nur auf die Musik reagieren wenn diese ihren gehobenen, von herkömmlicher Rockmusik geprägten, Qualitätsansprüche erfüllte. Ich erinnerte mich an die ersten Auftritte von Canal Terror 'Tot geboren' bei der denkwürdigen Sylvesterfete oder wenige Monate später, bei denen sich alle Punks erwartungsvoll vor der Bühne gedrängt hatten und die ersten harten Gitarrenklänge Auslöser für allgemeinen Pogo gewesen waren. Oft hatte ich damals den Eindruck als würden alle Punks absolut heiß darauf sein eine "richtige" Punkband zu sehen, und eine, deren Akteure sogar aus ihrem Bekanntenkreis stammten. Von diesem Gefühl war nun nichts mehr zu spüren, glich die Menge vor der Bühne doch oft eher einer Zuhörerschar mit distanzierter Erwartungshaltung. (Labermeia: In den Folgejahren steigerte sich dieses seltsame Besucherverhalten noch. Meist bildete sich bei Punkkonzerten innerhalb kurzer Zeit ein menschenleerer Halbkreis vor der Bühne in dessen Mitte zwei auf dem Boden liegende Personen in eine Art Ringkampf verwickelt waren, den sie als "tanzen" bezeichneten. Dies steigerte gerade nicht die Lust der meisten sich direkt an den Bühnenrand zu stellen, wollte man doch nicht versehentlich angegriffen… äh … zum "Tanz" aufgefordert werden. So war es auch nicht verwunderlich, dass viele Punks und vor allem Frauen auf räumliche Distanz bedacht waren. Eine wohltuende Änderung hierbei erlebte ich erst in der zweiten Hälfte der Achtziger als ich die ersten Hardcorekonzerte besuchte. Hier stürzten alle "Hardcores" bei den ersten Akkorden förmlich vor die Bühne, waren richtig GEIL auf die Musik und von irgendwelchen Halbkreisen oder Wrestling-Einlagen war nichts mehr zu sehen.)
  Auch die stattgefundenen Angriffe auf Punks durch Schlägertypen hauptsächlich türkischer Herkunft wunderten mich nicht sonderlich. Gerade in einer Stadt wie Troisdorf die durch einen hohen Ausländeranteil gekennzeichnet war. Zu dieser Zeit wurden in den Medien gern Bilder von Punks gezeigt die auf einem ihrer vielen Badges ein Hakenkreuz zeigten oder genauso ein Hakenkreuz-T-Shirt trugen wie das mit dem der Sex Pistols -Bassist Sid Vicious oft provoziert hatte. So manche Punks in Deutschland übernahmen kritiklos diese Provokationsart (auch ich anfangs manchmal ) und bedachten dabei gar nicht, dass ein Hakenkreuz hierzulande meist nicht als Provokation, sondern als ein Zeichen der politischen Gesinnung angesehen wurde. Da sich zudem auch seltsamerweise vermehrt rechtsradikale Jugendliche als Punks bezeichneten, sich so kleideten und ihre politische Meinung offen kundtaten, entstand fälscherlicherweise bei uninformierten Menschen der Eindruck einer rechtsradikalen Jugendbewegung. Dem war zwar überhaupt nicht so, rechtsradikales Denken Einzelmeinungen. Aber es gab doch recht viele "Einzelne". Jene Entwicklung war auch einer der Gründe warum ich im Herbst des Jahres 1981 die Herausgabe des Tiefschlag einstellte. Bei Provinzwahn war eine Fehleinschätzung sehr wahrscheinlich auch der Grund gewesen, denn meines Wissens nach war der Verursacher der Angriffe eine Troisdorfer Türkengang die Punks für Neonazis gehalten hatte. Fast allen der bei Provinzwahn auftretenden Bands war keine längere Zukunft beschieden. Sie lösten sich in den Folgemonaten entweder auf oder verschwanden nach diesem Konzert völlig von der Bildfläche. Lediglich machten lange Zeit weiter und brachten dann 1983 ihre 1. LP Toxoplasma 1. LP auf dem Berliner Label Aggressive Rockproduktionen heraus. Nach einigen Auflösungen und Neugründungen existiert die Gruppe noch heute und kann auf eine umfangreiche Diskografie zurückblicken.
  Da dies der letzte zur Wiederveröffentlichung vorgesehene Artikel aus den Bonner Perspektiven #2 war, fahre ich nun mit der Folgenummer fort. Es gab ja insgesamt fünf Ausgaben. Also kommt im nächsten Beitrag dann ein Konzertbericht aus der Nummer 3 über einen Auftritt der noch recht unbekannten Bonner Band Geistige Verunreinigung im Januar 1982.

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