„Ich bin ein Skinhead, ein deutscher Skinhead der stolz auf sich und sein Land ist!“
    „Von Skinheads halte ich nicht viel…“, meinte der in Belgien geborene Rocker zu dem kleineren Kuttenträger. „Das sind meistens die reinsten Luftpumpen, große Klappe und nix dahinter… Zum Beispiel waren wir mal zu dritt auf einem Festival…“
    Leider konnte Hotte dem Rest der Erzählung nicht lauschen, denn obwohl er den Inhalt neugierig erwartete, drehte der Belgier dem kleinen Troisdorfer den Kopf zu und durch die geänderte Sprechrichtung verringerte sich die Intensität seiner Stimme zu einem unverständlichen Murmeln.
    „Ihr seid hier wohl auf gar nichts stolz…“, sagte der Skinhead zornig zu dem Mann in dem weißen T-Shirt und betrachtete neidvoll dessen Bierglas. „Aber das ist typisch für irgendwelche linken Zecken… Die können ja auf nichts stolz sein wenn ihnen ihre Rasse egal ist, und die Ähnlichkeit zu Knoblauchfressern und Fidschis ist doch nichts worauf man stolz sein könnte. Da wo ich herkomme zählt noch ein richtiger…“
    „Komm Klaus, lass uns woanders hingehen, eine andere Kneipe suchen…“, unterbrach der Pockennarbige zu seinem Kollegen und sah sich mit Geringschätzigkeit im Blick prüfend um. „Das hier scheint ja ein richtiger Kommie-Laden zu sein, sehr viele Zecken hier… Sieht zwar gar nicht aus wie so ein Zeckenladen bei uns, aber hier ist ja vieles anders… Ich habe Durst und irgendwo werden in dieser Scheißstadt bestimmt auch Deutsche bedient…“
    „Da hast du Recht. Ich wäre auch für einen Stellungswechsel. Selbst die Rocker hier sind richtige Linke… Hätte ich nicht gedacht, bei uns in Potsdam sind die Rocker doch anders drauf, mögen Deutsche und stehen zu ihrer deutschen Tradition… Dass die Leute hier so verdreht und ausländerfreundlich sind konnte ich ja nicht ahnen…“
    Fast zeitgleich erhoben sich beide von ihren Hockern.
    „Ihr wollt schon gehen?“, fragte der Mann mit dem Bierbauch höhnisch, „Verstehe ich nicht, hier im Knotenpunkt ist es doch richtig gemütlich… Jedenfalls wenn man etwas zu trinken hat, ohne ist es auf Dauer bestimmt komisch…“
    „Wir gehen jetzt woanders hin… In diesem komischen Kaff gibt es bestimmt noch Läden wo Deutsche ein Bier bekommen…“
    „Hier gefällt es uns sowieso nicht…“, bestätigte der Kleinere die Aussage seines kräftigen Freundens und schaute die interessiert blickenden Motorradfahrer an.
    „…zu viele linke Schweine…“, resümierte er.
    Beide wandten sich um und gingen Richtung Ausgang.
    „Was habe ich da eben gehört? Wir sind für euch linke Schweine?“, fragte der Bierbäuchige empört, der anscheinend noch nie in seinem Leben derartig bezeichnet wurde und die Titulierung als eine Beleidigung verstand, da eine solche mittlerweile mit einer Neigung zur Weichlichkeit gleichgesetzt wurde.
    Das nationalbewusste Duo stoppte seinen Schritt und der groß gewachsene Skinhead drehte sich in Richtung der Rocker um.
    „Da hast du schon richtig verstanden… Wenn richtige Deutsche wie wir für euch unerwünscht sind seid ihr bestimmt auch solche Zecken wie der Punker da…“
    „Mit Punkern haben wir nichts am Hut… Aber auch keinen Ärger mit, dafür aber öfter mit Nazis wie euch….“, erwiderte der Belgier dem nun deutlich ein Gefühl der aufkommenden Wut anzusehen war.
    „Lieber ein Nazi und stolz auf sein Land sein als ein stinkendes linkes Schwein das gerne mit Ausländer und Punkern rumhängt!“
    „Ihr linken Schweine!“, schrie der Pockennarbige plötzlich, der sich entweder in den Augen des anderen profilieren wollte oder durch ein cholerisches Temperament gekennzeichnet war, ergriff einen Barhocker und schwang ihn drohend über dem Kopf.
    Hotte überraschte die aufbrausende Reaktion des zwei Meter neben ihm stehenden Mannes, sah aus den Augenwinkeln die am Tresen sitzende Frau ängstlich zusammenzucken und hinter dem neben ihr sitzenden Mann in Deckung zu gehen.
    „Komisch, so zu reagieren nur weil ein bisschen mit einem Hocker gewedelt wird… Echt seltsam…“, dachte er. „Das ist doch noch keine richtige Kneipenschlägerei, könnte vielleicht eine werden, fürwahr, aber die Frau sitzt doch ganz hinten in der Ecke, selbst wenn ein paar Sachen flögen würde sie wohl kaum von irgendwas getroffen werden… “
    Angesichts der wiederholten und diesmal gebrüllten Beschimpfung beschloss der Troisdorfer Rocker zu handeln, erhob sich von seinem Hocker, nahm ihn in die Hände, schwang ihn wie eine schlagbereite Baseballkeule über seiner Schulter und ging dabei zwei Schritte vorwärts.
    Sofort wandte sich der von beiden den Rockern am nächsten stehende Skinhead um und schritt entschlossen zum Ausgang, offenbar der Ansicht, dass dies der falsche Ort und der falsche Zeitpunkt waren um aufopferungsvoll für Rasse, Nation und das Recht auf ein Getränk zu kämpfen. Auch sein kleinwüchsiger Mitarier folgte seinem Beispiel, ließ den Hocker polternd zu Boden fallen und eilte flinken Schrittes zur Tür.
    Wie um zum Abschied noch etwas sagen zu wollen hielt der Skinhead kurz bevor er die Tür erreichte inne und beugte sich über die hohe Brustwand, die den eigentlichen Schankraum vom Eingangsbereich abtrennte und direkt an den Tisch mit Ronny und Franziska grenzte.
    „Du Scheißpunker bist ja immer noch hier…“, sagte er zu Ronny und Hotte glaubte ein drohendes Zähnefletschen zu sehen. „Ich habe dir doch befohlen zu gehen…“
    „Du hast mir überhaupt nix zu befehlen. Ich gehe dann wenn es mir passt. Aber selbst wenn ich von hier weggewollt hätte wäre es nicht zu schaffen gewesen, so schnell wie du selber gehen musst …“
    Genauso rasch wie sein kahlrasierter Kopf über der Brüstung erschienen war verschwand dieser auch wieder. Sehr wahrscheinlich hatte der Skinhead Ronnys letzte Worte nicht mehr gehört, denn nach nur wenigen Sekunden später war das Geräusch einer zufallenden Tür zu hören.
    Schlagartig kehrte wieder Ruhe ein, die nur von der immerwährend leise vor sich hin dudelnden Musik und einigen murmelnden Stimmen unterbrochen wurde. Immer noch stand Fritz vor dem Spielautomaten, grinste allerdings wie als würde er vor einem Heiterkeitsausbruch stehen weitaus breiter als vorher und warf weiteres Geld ein. Zwar kamen rein theoretisch spielerische Glücksmomente und ein Gewinn erklecklicher Summen als Auslöser in Frage, aber Hotte konnte sich einen derartigen Zufall nicht vorstellen, kannte er doch diese Geräte, war ein größerer Geldgewinn doch nur möglich wenn sich genug Münzen in dem Apparat befanden, und am Vorabend hatte ein älterer Mann überraschend viel gewonnen und in Siegerlaune eine Lokalrunde ausgegeben. Hotte glaubte vielmehr, dass Fritz durch die schemenhafte Spiegelung der Ereignisse auf der Glasoberfläche und noch mehr durch die wahrgenommenen Geräusche sich hatte denken können was gerade passierte.
    Er blickte zu der kleinen Gruppe der Motorradfahrer am Tresen. Ein Bild der Normalität erbot sich ihm, so als wäre die nur wenige Augenblicke zurückliegende Störung durch zufällige und unerwünscht aggressive Gelegenheitsgäste nie passiert. Wolfgang hatte sich wieder zu ihnen gesellt und redete mit dem bierbäuchigen Mann, der Belgier sprach abwechselnd mit der jungen Frau an der Seite des eben noch hockerschwingenden und nun sehr ruhig wirkenden Troisdorfer und diesem selbst.
    Innerlich grinsend bückte sich Hotte, hob den zu seinen Füßen liegenden Barhocker auf und stellte ihn wieder wie um einen eigenen Beitrag zu einer allabendlich erlebten Normalität leisten zu wollen aufrecht hin.
    „Komisch…“, dachte er als er zu seinem Bierglas griff, „Eigentlich habe ich ja nur Wolfgang von dem Hausverbot erzählen wollen… Zwar habe ich mir schon gedacht, dass er sie ein bisschen rausschmeißt, aber null irgendwelchen Stress zwischen den beiden Stolzdeutschen und den Rockern in Erwägung gezogen… Das war wirklich recht überraschend… Aber eigentlich auch nicht so sehr, solche Nasengesichter halten sich ja für was Besseres und überschätzen sich deswegen immer selbst… Die haben echt ihr bestes getan um möglichst immer mehr Leute gegen sich aufzubringen... Nee Nee… Aber egal, Hauptsache sie sind weg und alles ist wieder normal… Ich wollte Ronny und Franziska doch noch die Schote mit der Eisdiele erzählen, als mein Arbeitskollege dort etwas Stunk machte weil ihm das vermeintliche Stück Gurke auf dem Eis nicht gefiel, es aber in Wirklichkeit Kiwi war…“
    Die Erinnerung daran erfüllte ihn mit Heiterkeit, er ging zurück an den Tisch von Ronny und Franziska, sah beide lächeln und ganz besonders Franziskas breites Grinsen, das er als einen unausgesprochenen Kommentar zu dem kurzen Zwischenspiel wertete erfreute ihn.
    „Dieser Arbeitskollege hat öfter so Dinger gebracht…“, begann Hotte nachdem er sich gesetzt hatte. „Irgendwann sind wir mal nach der Maloche zusammen in eine Eisdiele gegangen…“

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