© Meia 2008, veröffentlicht in "Pankerknacker" 2009

Franziska lächelte Hotte an und ihre Augen funkelten im gedämpften Licht der Kneipe. Ihr Freund Ronny, der ungefähr genauso alt wie sie selbst war und sich seit einigen Monaten als ein volljähriger Mensch bezeichnen konnte, grinste breit und zeigte seine weißen Zahnreihen.
    Der fast doppelt so alte Hotte freute er sich über den wiederholten Beweis, dass auch Menschen die deutlich jünger waren durch Geschichten die er für komisch hielt zum Lachen gebracht werden konnten und spürte ein Gefühl der geistigen Nähe, welches den Altersunterschied merklich dahin schmelzen ließ.
    „Ein anderer Arbeitskollege…“, redete er motiviert weiter, „Etwas kleiner als ich, aber genauso schmächtig, erzählte mir vor einigen Jahren seit neuestem Bodybuilding in einem Studio zu machen. Wir redeten über die Muskeln die er trainieren wollte, und da mir schnell klar wurde, dass sein Wissen darüber sehr begrenzt war, fragte ich ihn ob er auch den Schließmuskel trainieren würde. Zu meiner Verwunderung schüttelte er den Kopf und verneinte meine Frage. Einer plötzlichen Idee folgend sagte ich ihm, dass der Schließmuskel einer der wichtigsten Muskeln des Körpers sei und er am besten seinem Trainer fragen sollte, ob er auch ein spezielles Schließmuskeltraining anbieten würde…“
    Ein Lächeln schmückte die Gesichter seiner Zuhörer und Hottes Motivation die Geschichte zu erzählen stieg.
    „Einige Tage später teilte er mir mit seinen Trainer nach dem Schließmuskel gefragt zu haben. Von der Antwort erzählte er mir nichts, aber da er direkt nach diesen Worten von mir wegging und dabei als würde er von unangenehmen Erinnerungen übermannt den Kopf schüttelte, konnte ich sie mir gut vorstellen…“
    Lautes Gelächter der beiden drang an Hottes Ohren, eine akustische Heiterkeitsverdeutlichung, auf die Hotte nach dem Erzählen einer eigenen Geschichte zwar stets bewusst verzichtete, er aber durch ein stilles und breites Grinsen sein Amüsement unterstrich.
    „Ich glaube so etwas hat ihn noch niemand gefragt…“, mutmaßte Franziska.
    „Na ja, vielleicht nicht derartig formuliert und an einem anderen Ort…“, meinte ihr Freund und sein beständig zu einem Lächeln verzogener Mund deutete auf eine anhaltende Belustigung hin. „Es könnte ja sein, dass das Kopfschütteln deines Arbeitskollegen von seinen Erinnerungen an den praktischen Teil des Schließmuskeltrainings herrührte…“
    Hotte stimmte ein lautes Gelächter an.
    „Das glaube ich nicht… Aber ich kann mir gut vorstellen, dass der Trainer auf die Frage sehr verdutzt reagiert hat und eine genaue Funktionsbeschreibung des Schließmuskels folgen ließ. Der Arbeitskollege war bestimmt auch sehr verwundert… Auf alle Fälle hätte ich die Antwort des Trainers gerne gehört, echt…“
    In diesem Moment vernahmen die drei das Öffnen der Eingangstür, und da in den letzten Minuten keiner der Gäste in deren Richtung gegangen war konnte es sich nur um eine oder mehrere die Gaststätte betretende Personen handeln. Nur wenige Sekunden später wurden zwei junge Männer sichtbar, die als sie die den eigentlichen Schankraum vom Eingangsbereich trennende Rückwand passiert hatten auf den Tresen zugingen.
    An ihren Gesichtern erkannten die fast täglich anwesenden Stammgäste sofort, dass es sich bei den beiden jungen Männern um bisher nie gesehene Gäste handelte, sie wohl zum ersten Mal den Knotenpunkt betraten. Dieses war allerdings nicht sonderlich erstaunlich, denn da sich der Name der Gaststätte auf dessen Lage bezog und die Kneipe am äußersten Rand der Fußgängerzone direkt gegenüber dem Bahnhof zu finden war, stellte es keine Besonderheit dar, wenn sie von Reisenden und nur mit dem Wunsch eines kurzen Besuches aufgesucht wurde.
    Dennoch fiel allen Anwesenden die Art ihrer Oberbekleidung direkt auf, welche bei beiden aus einer schwarzen Bomberjacke bestand und die gerne zum Zeichen einer radikalen politischen Einstellung getragen wurde. Aber noch genauer wurde ihre Gesinnung durch die Frisuren verdeutlich. Den Kopf des kleineren Mannes - dessen Gesicht durch ein bizarres Muster einer pockennarbigen Kraterlandschaft gekennzeichnet wurde - zierte ein militärischer Kurzhaarschnitt, ganz im Gegensatz zu dem seines ungefähr einen Meter neunzig großen und deutlich kräftigeren Freundes, dessen glattrasierter Schädel von einem Selbstverständnis als Skinhead sprach. Während beide direkt und zielstrebig die Theke ansteuerten schauten sie sich rasch um und musterten mit flüchtigen Blicken die anwesenden Gäste, eine Verhaltensweise, die etwas völlig normales darstellte und auch von Stammgästen beim täglichen Besuch ihres Zweitwohnzimmers praktiziert wurde.
    Als der groß gewachsene Skinhead Ronny erblickte, dessen Äußeres wegen der zu einem hohen Kamm aufgestellten Haupthaare sehr auffällig war, wechselte dieser die Zielrichtung, schritt zu dem Tisch an dem Ronny, Hotte und Franziska saßen und beugte sich zu ihnen herab.
    „Hör mal zu, du dreckige Punkerzecke…“, sagte er zu Ronny gewandt und verzog das Gesicht zu einer höhnischen Grimasse, dessen lächelnder Mund Heiterkeit vortäuschen sollte, während der kalte Blick die mimische Fassade konterkarierte und merkliche Aggressivität ausdrückte.
    „Ich rate dir sofort zu gehen und nie wieder hierhin zu kommen, der Anblick von so arbeitsscheuem Gesindel wie dir kann mich schnell sehr wütend machen…“
    Kaum einen Atemzug nach Aussprache des letzten Wortes richtete sich der Skinhead auf und ging zu seinem auf ihn wartenden Freund.
    Als sich die beiden wenige Sekunden später auf zwei direkt vor der Zapfanlage stehenden Hockern niederließen und bei Wolfgang Bier bestellten, schaute Hotte den ähnlich wie er überrascht blickenden Ronny an und konnte dessen Gefühl der Verwunderung nachempfinden.
    Noch keiner der beiden hatte an diesem Ort eine ähnliche Aufforderung vernehmen müssen, war doch gerade im Knotenpunkt die für Troisdorf typische Toleranz Andersdenkender gegenüber deutlich spürbar. In den vielen Jahren die mittlerweile vergangen waren seitdem Hotte diese Gaststätte als seine Stammkneipe auserkoren hatte, bestätigte sich dieser Eindruck stets aus neue, boten sich Bilder der menschlichen Vielfalt einer auf keine Personengruppe beschränkten Lokalität. Irokesentragende Punks unterhielten sich mit deutlich älteren Sparkassenangestellten, deren Altersunterschied rein optisch auffällig war und die der Vater des Punk hätten sein können, stadtbekannte Hooligans tranken friedlich ihr Bier neben langhaarigen Stadtverordneten der Grünen, stets etwas übernächtigt wirkenden Jungalkoholikern oder fachsimpelnden Computerspezialisten. Natürlich trug die vom Gaststätteninhaber Wolfgang vertretene Leben und Leben lassen-Linie zur allgemeinen Atmosphäre der Toleranz bei. Ihm persönlich war jeder Gast willkommen, ganz gleich wie dieser gekleidet war, welche Meinung er durch sein Äußeres vertrat oder welchen Alters jene Person war. Seine oberste Prämisse einer friedvollen Lokalität wurde von den öfter anwesenden Gästen umgesetzt, entweder in einer überraschenden Annäherung zwischen Personen wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten oder durch Beachtung einer größtmöglichen Distanz zu einem Menschen, zu dem näherer Kontakt automatisch zu einer verbalen oder körpersprachlichen Auseinandersetzung geführt hätte.
    Umso erstaunter war Hotte über jenen erstmalig gesehenen Skinhead, der dem Stammgast Ronny unter Androhung körperlicher Gewalt seine Meinung aufzwingen wollte. Allerdings machte Ronny keine Anstalten dem soeben erteilten Lokalverweis schleunigst nachzukommen, sondern musterte die beiden inzwischen am Tresen sitzenden Bomberjackenträger taxierend.
    Hotte erahnte seine Gedankengänge, er konnte sich vorstellen, dass Ronny die Möglichkeiten für eine körperliche Auseinandersetzung erwog, und da er höchstens Hottes Hilfe mit einbezog und der groß gewachsene Skinhead einem jedem von ihnen sichtbar an Kraft überlegen war wurde der Ausdruck zweifelnder Skepsis in seinen Augen immer deutlicher.
    Um selbst ein Bild von der momentanen Lage zu bekommen schaute Hotte in Richtung Theke. Für einen Freitagabend war recht wenig los und nur eine geringe Anzahl von Leuten hielt sich im Schankraum auf. Hotte wusste um die Normalität jenes Effektes, der in einer frühabendlichen Stunde wie dieser nichts Ungewöhnliches darstellte. Oft trudelten an einem Wochenendtag die meisten Besucher später ein,

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