füllte sich die Kneipe erst in den ein bis zwei Stunden vor Mitternacht. An der lang gezogenen rechten Tresenseite sah er Seite an Seite vier ihm unbekannte Menschen sitzen, von denen nur ein einziger weiblichen Geschlechts und höchstwahrscheinlich die Lebensgefährtin des zu ihrer Rechten sitzenden Mannes war. Direkt neben ihren Sitzplätzen befand sich ein Geldspielautomat, der von einem dunkelhaarigen Mann namens Fritz bedient wurde, der seit einiger Zeit Stammgast des Knotenpunkts war und mit einem für ihn typischen spöttischen Lächeln die rotierenden Zahlenscheiben des Gerätes betrachtete. Hottes Blick glitt weiter, registrierte die beiden jungen Männer in den schwarzen Fliegerjacken, die direkt vor der Zapfanlage saßen, abwechselnd aus noch recht vollen Biergläsern tranken und unhörbare Worte wechselten.
    Nur wenige Meter neben dem selbsternannten kahlköpfigen Gesichtskontrolleur hielt sich eine weitere aus vier Menschen bestehende Gruppe auf, von denen sich ein jeder den für eine Kneipe typischen Haupttätigkeiten Flüssigkeitszufuhr und Kommunikation widmete. Drei dieser Menschen waren Hotte von flüchtigem Sehen her bekannt, gehörten zu den Mitgliedern zweier Motorradclubs, was an den über den eigentlichen Jacken getragenen Jeanskutten ersichtlich war.
    Der kleinere und schnauzbärtige sitzende Mann sowie die junge Frau mit den gelockten Haaren neben ihm zählten zu den Troisdorfer Rockern, die zwar unweit vom Knotenpunkt ihre eigene Stammkneipe hatten, aber da einige von ihnen Wolfgang kannten suchten sie in sporadischen Abständen dessen Lokalität auf. Die dritte Person war ebenfalls ein kuttentragender Mann, allerdings älter und kräftiger als sein Troisdorfer Gesinnungsgenosse, und das auf dem Rückenteil seiner Jeansweste sichtbare Emblem wies ihn als Angehörigen einer bekannten und größeren Rockergruppe aus einer Nachbarstadt aus.
    Sichtlich größer als die beiden anderen Männer war der dritte Mann im Bunde, welcher allerdings keine Kutte trug und anscheinend keinem Club angehörte. Lediglich ein weißes T-Shirt umhüllte seinen kräftigen Oberkörper, spannte sich wie um die Grenzen seiner Elastizität herauszufordern über einen gewaltigen Bierbauch.
    Hotte schaute erneut Ronny an und spürte seinen Blick auf ihm ruhen, glaubte die unausgesprochene Frage „Und was machen wir jetzt?“ im Raum stehen zu sehen und beschloss direkt eine Antwort auf diese zu geben.
    „Das machen wir anders…“, sagte er betont sachlich und war sich sicher, dass Ronny nur an die nahe liegende Möglichkeit einer direkten Auseinandersetzung dachte, aber ebenso wie er an keine Chance in dieser Konstellation glaubte. Er griff zu seinem vor ihm stehenden Bierglas, sah zwei ihn interessiert und neugierig anschauende Augenpaare und trank dessen letzten Rest in einem Zug aus.
    „Ich gehe mal ein neues Bier holen, das ist ja voll leer…“, meinte er bewusst lapidar, erhob sich mit dem noch immer in seinen Händen gehaltenen Glas und ging zur Theke. Als Wolfgang ihn warten sah unterbrach dieser sofort sein Gespräch mit dem kleineren Rocker und schritt zu ihm.
    „Machst du mir bitte noch ein Pils?“, fragte Hotte und zeigte auf sein leeres Trinkgefäß.
    „Klar!“, nickte Wolfgang, nahm das leere Behältnis und ging zielstrebig zu der Zapfanlage. Nur eine knappe Minute später kehrte er zurück und stellte ein frisch gespültes und fast bis zum Rand gefülltes Bierglas auf den Tresen.
    „Biddeschön!“
    „Danke Wolfgang…“, antwortete Hotte und gab ihm die bereitgehaltenen Eurostücke. „Ein Bier trinke ich noch schnell, denn Ronny und ich wollen in ein paar Minuten weg… Das war nicht geplant, eigentlich wollten wir hier noch ein paar Biere trinken, aber Ronny muss jetzt gleich gehen und darf nie wiederkommen, denn der mit der Glatze hat ihm eben lebenslanges Hausverbot erteilt…“
    „Echt?“, fragte der Wirt erstaunt und Hotte sah erste Anzeichen aufwallenden Unmutes in seinen Augen erscheinen.
    „Klar, voll echt… Das hast du doch bestimmt auch gesehen, der kam ja direkt zu uns an den Tisch weil ihm der Anblick von Ronny total missfallen hat…“
    Der Ausdruck des Unmutes in Wolfgangs Augen verwandelte sich in Sekundenbruchteilen in den flackernden Zorns und ohne eine Antwort zu geben eilte er in Richtung Zapfanlage zurück.
    Hotte trank einen großen Schluck noch herrlich kühlen Biers und lächelte gedanklich. Genau jene Reaktion hatte er erreichen wollen, wusste er doch um Wolfgangs tiefsitzende Abneigung gegen von Dritten ausgesprochene Aufenthaltsverbote - ganz gleich ob diese nur für einen Abend galten oder unbefristet waren - gegen jegliche Gäste allgemein und ganz besonders wenn es sich bei dieser Person um einen Stammgast handelte. Eigenmächtigkeiten dieser Art nahm er sehr persönlich und in der Tat rüttelten sie praktisch an seiner eigenen Existenz, denn die Einnahmen durch Menschen die mehrmals in der Woche in den Knotenpunkt kamen und ihr Geld gegen Bier tauschten stellten die Grundlage seines Lebensunterhaltes dar und diesen den Aufenthalt zu verbieten konnte er nicht tolerieren. Seine Wut war nur verständlich, wurde sie doch durch die beständigen Alarme seines Selbsterhaltungstriebes genährt, welcher eine wichtige Grundlage seiner Existenz gefährdet sah.
    „Kannst du bitte noch zwei Bier zapfen?“, fragte der Kahlrasierte laut als Wolfgang vor ihm stand und hob um seine Frage zu unterstreichen seine halbleere Kölschstange.
    „Ihr kriegt hier nix mehr…“, antwortete Wolfgang mit einem Unterton der Entschlossenheit in der Stimme, griff zu den beiden noch halbvollen Biergläsern seiner Gäste, nahm sie an sich und schüttete deren Inhalt in ein kleines Waschbecken.
    „Wieso bekommen wir hier kein Bier mehr?“, fragte der Kräftige erstaunt, „Wir haben uns doch ganz normal benommen, so wie überall…“
    Wolfgang antwortete nicht, spülte stattdessen um seiner sichtbaren Erregung ein Ventil der Handlung zu geben die Gläser länger und gründlicher als sonst, verzichtete bewusst auf eine Erklärung da weitere Worte nur zu einer Intensivierung seiner Wut geführt hätten.
    „Wenn der Wolfgang euch kein Bier mehr geben will wird er schon seine Gründe haben…“, antwortete der Mann mit dem monströsen Brauereigeschwür in Form seines vorstehenden Bierbauches anstelle des Wirts.
    „Das verstehe ich nicht… Wir waren doch vollkommen ruhig… Wenn es irgendeinen Stress gegeben hätte wäre es ja was anderes, aber so…“
    „Und außerdem ist da hier eine deutsche Kneipe, da sollten richtige Arier doch keine Probleme haben…“, warf das kleinere und pockennarbige Weigerungsopfer erklärend ein.
    „Seid ihr nicht von hier?“, fragte der Mann mit dem Bierbauch scherzhaft. „Ein Land namens Arien kenne ich überhaupt nicht… Oder ist das eine Stadt in den neuen Bundesländern? Die haben dort manchmal die komischsten Namen…“
    „Willst du mich verarschen?“, fragte der Skinhead erstaunt und klang etwas genervt. Offensichtlich erkannte den humorvollen Aspekt der Aussage nicht, nahm jedes Wort absolut ernst und sah sich mit einer nach Füllung schreienden Wissenslücke konfrontiert. „Arier sind die Rasse von den Deutschen an sich… Kennst du deine Rassenzugehörigkeit nicht?... Du siehst doch wie ein Deutscher aus, wie einer von der Herrenrasse… Aber wirklich würde mich das auch nicht wundern, ist schon eine komische Stadt hier, die einen Arier wissen nicht, dass sie Arier sind, andere Arier werden wie Untermenschen behandelt und bekommen kein Bier…“
    „Natürlich weiß ich was ein Arier ist… Aber dass das eine Rolle spielte ist schon echt lange her… Arier hin oder her… Hier in Troisdorf sind Rasse oder Nationalität eines Menschen Wurst… Scheißegal ob jemand Türke ist oder Deutscher… In erster Linie sind alles Troisdorfer…“
    „Das stimmt…“, ging der kleinwüchsige Schnauzbartträger auf dessen Ausführungen ein und ließ mit seinen nachfolgenden Worten vermuten, dass es sich bei dem korpulenten Mann um einen nur rudimentär informierten Besucher handelte. „Wir haben sogar einen Türken im Verein, den Hakan, und da spielt es auch keine Rolle wie er aussieht, Hauptsache er ist okay und immer bereit für den Club vieles zu tun, das ist er, also keinerlei Problem…“
    „Bei uns sind keine Ausländer…“, erwiderte der Rocker aus einer Nachbarstadt, „Also Türken oder so, aber Deutscher muss man nicht sein um mitzumachen… Der lange Ivan zum Beispiel ist ein Pole, und ich bin in Belgien geboren…“
    „Belgier gehen ja noch…“, mischte sich der Kahlrasierte wütend ein. „Das sind Halbarier… Aber wir Deutsche sind doch was besseres, jedenfalls als diese Ausländer, und in Troisdorf sind recht viele Ausländer… Zwar sind hier zur Zeit keine, sonst wären wir auch nicht rein gekommen, aber bestimmt erscheinen nachher noch einige Ausländer und bekommen ständig Bier nachgeschenkt…“
    „Jeder Mensch ist ein Ausländer, auch ihr, wenn ihr mal in Italien oder so seit…“
    „Wenn ich mal da bin möchte ich als Deutscher angesehen werden, das sieht man doch direkt, ich habe blonde Haare und blaue Augen. Aber nach Italien oder so möchte ich nicht, da würde ich mich als rassebewusster Deutscher nicht wohl fühlen, zu viele Ausländer dort…“
    „Ob du blonde oder schwarze Haare hast kann man doch nicht wissen, sie sind doch alle abrasiert…“, stellte der dickleibige Besucher nach einer kurzen Betrachtung seines Gegenübers spöttisch fest.
    Dieser reckte sein Kinn in die Höhe.

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