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Dritter Akt: Ratschläge

Das salzstangengefüllte Glas auf dem Wohnzimmertisch leerte sich rasant, als Lieselotte ihm direkt fünfzehn der fragilen Gebäckstangen entnahm und sie sich in den weit geöffneten Mund schob. Ihre etwas zu gelben Zähne schlugen krachend in das Knabberbündel, ein Geräusch ähnlich dem Knacken zarter Knochen ertönte und ihr Unterkiefer bewegte sich mit der Präzision eines Mahlwerks.
„Was wird immer schlimmer?“, fragte Lieselotte mit geteilter Aufmerksamkeit, nachdem sie die letzten Salzstangenreste zermalmt, mit Speichel durchsetzt, durch rhythmische Kaubewegungen in eine schleimige Kugel verwandelt und mühsam heruntergewürgt hatte.
Manuela antwortete mit matter Stimme.
„Na, diese Sache mit dem Penisneid, die wird wirklich immer schlimmer...“
„Ach du meinst das vom Doktor Freud? Ja, ein wenig schon, aber viel verstanden habe ich nicht...“
„Und was sagt Heinz dazu?“, fragte Lieselotte plötzlich neugierig.
„Ach der Heinz...“, stammelte Manuela unwohl. „Mit dem kann man doch nicht richtig reden... Der guckt immer nur Fernsehen und trinkt Bier... Und wenn ich mal über meine Gefühle reden will behandelt er mich sofort wie eine Schwachsinnige... Also dem würde ich so was nie erzählen...“
„Zum Glück ist mein Gerd da ein bisschen sensibler...“, antwortete Lieselotte und griff wieder zu dem Glas mit den Salzstangen.
Manuela legte die Stirn in Falten und dachte an den Gatten ihrer besten Freundin, einen schmächtigen, stillen Mann, dem man seinen Beruf als Buchhalter förmlich ansah und der stets deutlich vor seiner resoluten Frau respektvoll kuschte.
„Wenn Heinz nur ein bisschen so wäre wie er...“, überlegte Manuela, „dann wäre alles bestimmt viel einfacher... Aber der Gerd ist mir doch ein wenig zu still, da ist Heinz doch weitaus männlicher... Nur leider so ignorant und stumpfsinnig... Hach, ist das alles schwierig...“
Fünf Araber stöhnten gleichzeitig schmerzhaft auf, Lieselotte lachte hämisch und Manuelas Blick richtete sich unwillkürlich auf sie. Ihr immer noch recht hübsches Gesicht zeigte ein breites, faltiges Lachen und die fast meterlangen blonden Haare - am Hinterkopf zu einem mädchenhaften Pferdeschwanz zusammengebunden - bebten im Takt.
„Eigentlich hat sich sie ja noch ganz gut gehalten...“, urteilte Manuela anerkennend, „und das nach so vielen Schwangerschaften...“
„Wie äußert sich so was eigentlich, also mit Penisneid hatte ich ja noch nie irgendein Problem...“, fragte Lieselotte neugierig. „Da kann ich mir ja gar nichts drunter vorstellen. Also mit Penisen habe ich ja schon so meine Erfahrungen...“
Lieselotte unterbrach mittendrin ihren Satz um ein kurzes, lautes Gelächter auszustoßen, während Manuela schweigend errötete.
„Muss ich ja schließlich auch haben, denn fünfzehn Kinder kommen ja nicht von irgendwoher oder vom Klapperstorch... Aber weißt du, wenn ich das so bedenke war ich ja eigentlich die letzten zwanzig Jahre durchgehend schwanger... So was kennst du ja gar nicht, da hat man einfach nicht die Zeit sich um solche Sachen zu kümmern...“
„Du meinst da steckt vielleicht ein Kinderwunsch dahinter?“, fragte Manuela leise.
„Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, denn schließlich habe ich vor jeder Schwangerschaft nie ähnliche Gedanken gehabt... Ist denn an dem... Hihi... Dingen von Heinz irgendwas besonderes, hihi...?“
Manuela kramte angestrengt in ihren Erinnerungen.
„Eigentlich nicht...“, antwortete Manuela und faltige Bilder verschrumpelter Organe umwehten ihr Gehirn. „Also mit Sicherheit nichts auf das Mann oder besonders Frau neidisch sein könnte... Verstehe das auch nicht...“
„Was empfindest du denn wenn du wieder neidisch wirst?“, bohrte Lieselotte weiter. „Ich meine du kannst doch nicht nur Neid verspüren, da sind doch bestimmt auch andere Gefühle mit im Spiel?“
„Also ich weiß nicht... Wie soll ich das sagen...“, erklang eine gequälte Antwort zäh. „Der Heinz... Also... Hmn... Der Heinz wirkt immer so stark und männlich wenn er pinkeln geht...“
Manuela´s Gesicht überrötete und es fiel ihr sichtlich schwer selbst vor ihrer besten Freundin ihre innersten Gefühle offen auszuwalzen.
„Ich meine er kann einfach überall... Und macht das auch... Und ich... Ich fühle mich dann immer so minderbemittelt, benachteiligt... Diese Leere zwischen meinen Beinen... Also irgendwie wie kastriert...“
Nach diesem plötzlichen und angestrengt hervorgebrachten Geständnis schwieg Manuela erschöpft und starrte begierig auf eine Antwort wartend ihre Freundin an. Lieselottes Blick wirkte starr und auf ihren Augäpfeln glänzten matte Spuren von Unverständnis und Überraschung.
„Und? Kannst du das verstehen?“, fragte Manuela vorsichtig.
Lieselotte atmete schnaufend aus.
„Also das ist ja wirklich starker Tobak. Wie kann man sich kastriert oder amputiert fühlen von etwas, dass man niemals hatte? Das ist doch nicht normal.... Nein, die Ursache dafür muss ganz woanders liegen, irgendwo in der Psyche oder so... Hast du schon einmal daran gedacht dich beraten zu lassen?“
„Mit Heinz kann man nicht reden...“
„Quatsch, ich meine doch nicht von Heinz! Der hält Psyche bestimmt für einen Filmtitel und Penisneid für eine Erinnerung an vorpubertäre Schwanzmessspiele... Außerdem glaube ich, dass er gar keine Psyche hat, so ungehobelt wie der sich immer aufführt wenn er Bier trinkt. Also wie der sich letztens aufgeführte als ihr zum Formel Eins schauen bei uns zu Besuch ward... Ich hätte ihm eine reinhauen können, er war ja nur am meckern und hat ständig Gerd und die Kinder beleidigt... Aber lassen wir das. Nein, ich dachte eher an einen Besuch bei einem Psychologen...“
Manuela runzelte die Stirn.
„Bei einem wie Doktor Freud? Hmmnn...Heinz sagt das wäre ein Psüchopath...“
„Psüchopath!“, schnaubte Lieselotte wütend und ihr Pferdeschwanz erbebte. „Das ist mal wieder typisch Heinz, alles schlecht machen und in den Dreck ziehen, nur weil er nichts versteht... Du musst deswegen ja nicht unbedingt direkt zu einem Facharzt gehen, nein, das geht auch anders, so dass Heinz überhaupt nichts davon mitkriegt. Ich war letztens bei so einem Verein, Pro Familia heißt der, dort kann man sich kostenlos in Fragen wie Eheprobleme, Ehehygiene...“
„Ehehygiene?“, fragte Manuela erstaunt und fiel Lieselotte ungehemmt ins Wort. „Was ist das denn? Soll ich Heinz auch noch waschen? Da habe ich nun wirklich keine Lust zu, obwohl er es oft nötig hat. Bisher haben wir uns immer jeder für sich selbst gewaschen...“
„Das hat doch nichts mit Körperpflege zu tun, das ist ein Spezialausdruck für Verhütungsmittel. Letzte Woche war ich bei denen und habe mich mal beraten lassen, wegen Verhütungsmethoden, muss ja schließlich endlich mal Schluss sein mit dem ganzen Kindersegen, das kann nicht so weitergehen, die fressen uns noch die Haare vom Kopf... Aber ich bin dort wirklich gut beraten worden, an deiner Stelle würde ich auch mal dahingehen, die können dir bestimmt weiterhelfen...“
„Also, ich weiß nicht...“, antwortete Manuela unentschlossen.
„Doch, mach das mal! Brauchst ja Heinz nichts davon zu erzählen...“
Lieselottes letzte Worte schwebten noch im Raum, als sie zu dem leeren Salzstangenglas griff und es fordernd schwenkte.
„Hast du noch Salzstangen?“
„Ja, in der Küche, ich hole welche...“, antwortete Manuela und erhob sich mühsam aus ihrem Sessel.
Lieselotte betrachtete interessiert und hungrig den Bildschirm, ihr Magen schrie nach Knabbergebäck, Gedanken flüsterten leise Kommentare zu Manuelas aktuellem Problem und die Krankenschwester auf der Mattscheibe füllte eine große Spritze mit einer milchigen Lösung. Sie näherte sich einem schmerzerfüllten Araber, riss mit einer schnellen, routinierten Bewegung ein den Unterleib bedeckendes Laken zur Seite und eröffnete der staunend zuschauenden Lieselotte den Blick auf ein überdimensional angeschwollenes männliches Glied.
„Junge, Junge...“, hauchte Lieselotte gerührt und wurde Fernsehzeuge, wie der Patient mit dem mächtigen Organ brutal eine Injektionsnadel in eben jenes gerammt bekam und vor Schmerz laut aufschrie.
„Hier sind noch ein paar Salzstangen!“, sagte Manuela und füllte das leere Glas.
„Oh, danke!“, antwortete Lieselotte, ihre Hand zuckte vor und nach einer schnellen Bewegung begannen die Kiefer erneut mit ihrem knirschenden Werk. Sofort spürte sie, wie Salzpartikel erfrischend an den Geschmacksrezeptoren an ihrem Gaumen andockten, ein angenehmes Gefühl erzeugten, und gleichzeitig schoss eine neue Idee durch ihr Gehirn.
„Du könntest es ja auch mal anders versuchen, also dein Problem selbst in den Griff zu kriegen...“, murmelte sie Neugier erweckend.
„Ja, wie denn?“
„Ich glaube du hast eine falsche Grundeinstellung zu den männlichen Geschlechtsorganen. Wie fühlst du dich eigentlich beim Sex? Als passives Wesen, immer ein wenig in die Opferrolle gedrängt oder als aktive Teilnehmerin?“
„Äh... Ich weiß nicht...“, antwortete Manuela unsicher, da sie derartig offene Gespräche über nächtliche Tätigkeiten nicht gewohnt war.
„Bestimmt bist du eher passiv, zeigt mir ja auch deine Reaktion jetzt. Mein Gott, wie kann man so verklemmt sein, wir leben in den Neunzigern und Sex ist doch eine der natürlichsten Sachen der Welt. Wenn du so oft schwanger gewesen wärest wie ich hättest du mit Sicherheit auch eine lockere Einstellung zu solchen Dingen... Aber lassen wir das jetzt. Ich glaube du musst einfach lernen, dass es auch anders geht, dass du Heinz mit seinem Dingen...“, Lieselotte erschauderte unmerklich, „...nicht einfach so ausgeliefert bist. Du darfst dich nicht wie jemand fühlen, der immer nur benutzt wird und auch noch - was für ein Witz - als Opfer Bewunderung für den Täter empfinden. Werde einfach mal aktiv, zeig Heinz, dass auch du Macht über ihn haben kannst und zwinge ihm deinen Willen auf, benutze ihn...“
Manuela starrte Lieselotte ungläubig an und fragte sich im Geiste, für was sie Heinz benutzen konnte.
„Und wie soll das gehen?“, fragte sie.
„Also, ich verrate dir jetzt mal was...“, antwortete Lieselotte geheimnisvoll und beugte sich zu Manuela herüber. Ihre Stimme verfiel in einen konspirativen Flüsterton und die schnell hervorgebrachten Ausführungen ließen Manuela erneut erröten.
„Wenn ihr also das nächste mal Sex habt...“, sagte Lieselotte etwas lauter.
„Heinz hat Spätschicht, da ist er abends immer unansprechbar...“
„Ist doch egal, muss ja nicht heute sein!“
„Aber...“, begann Manuela stockend, immer noch von Zweifel erfüllt. „Aber wenn... wenn... wenn ich einen Krampf oder so was kriege, was ist dann? Ist das nicht gefährlich?“
„Nein, überhaupt nicht. Da gibt es auch noch einen kleinen Trick...“, antwortete Lieselotte und gab ihr Wissen erneut geflüstert weiter, lehnte sich dann mit dem Gefühl einen entscheidenden Ratschlag gegeben zu haben zufrieden in den Sessel zurück.
Manuelas Gesichtszüge spiegelten einen wilden Kampf konkurrierender Emotionen wider, schwankten zwischen Hoffnung, Angst und Unsicherheit.
„Na gut, ich kann es ja mal versuchen...“, sagte sie schließlich. „Vielleicht kriege ich so mein Problem in den Griff...“
Lieselotte grinste breit.
„Erzähl mir dann wie es war, unbedingt, das will ich natürlich wissen!“
Manuela nickte zustimmend, während Lieselotte gierig zu den Salzstangen griff.