Lyrix

Bei manchen Gedichten halte ich es für unabdingbar wenn man als Schreiber dessen vorher einige Worte sagt, denn wenn der Leser weiß was bei Niederschrift im Kopf des Verfassers vorgegangen ist fällt das Verstehen leichter. Also: Im März 1999 las ich ein Buch von Wiglaf Droste, in der er in einer Geschichte schildert, wie er zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Max Goldt im Zug durch Schweden fährt und sie vor lauter Langeweile über die vorbeiziehenden Birken reimen. „Das kann ich besser!“, dachte ich wichtigtuerisch und produzierte folgenden Kram. Der sich reimende Anfangs-, Mittel- und Endteil ist nur als bedeutungsloser Lückenfüller gedacht, wichtiger sind die anderen Zeilen. Hier ist der Sinn der Worte recht nebensächlich, im Gegensatz zu deren Klang und Betonung, sprich Hebung und Senkung, die Länge der Silben und die Geschwindigkeit der Sprache. Kurz gesagt der "Melodie" des Gedichtes. Als Leitbild dienten mir hierbei das Geräusch, das rollende Waggonräder auf Schienen verursachen sowie eine Zugfahrt durch die unwirtlichen Gebiete des Moseltals. Folglich ist "Nihilistische Zugfahrt übers Land" eine durch die Silbenrhythmik dargestellte Zugfahrt.

Nihilistische Zugfahrt übers Land

Eine Sonne erklomm gähnend
den Aufstieg zum Zenit
Kein Vogel am Himmel
Windstille
und aus fernen Schloten drang
frei von jedem Quotenzwang
das feine Aroma von Schwefelsulfid

Zwei Türken am Bahnhof
gegeelt und aggressiv
fragten: „Hast du E?
Oder zur Not auch Speed?“
Ich schüttelte den Kopf
und stieg in den Zug
mit fünf Dosen Bier
das war mir genug

Diese miesen Birken wirken wirklich
tot      tot
diese miesen Birken wirken wirklich
fahl       fahl
diese miesen Birken wirken
mir
wirklich ziemlich scheißegal       egal

Diese Birken wirken
tot
diese Birken wirken
fahl
diese Birken wirken
mir
ziemlich scheißegal
egal
miese Liese melkt
die Kuh
miese Liese melkt
die Kuh
miese Liese melkt
den Ochsen
und den Bauern mit dazu       mit dazu

müde Kühe kauen
Gras
müde Kühe kauen
Gras
Kühe kauen müdes
Gras
grüne Liese mieses
Gras
grüne Wiesen liegen
leer
leere Wiesen liegen
grün
liegen Wiesen grün
und leer
grüne Wiesen liegen
leer
miese Liese melkt
die Kuh
miese Liese melkt
die Wiese
miese Liese melkt
verrückt
laue Bauern voller
Glück
miese Liese melkt laue Bauern
voller Glück      Glück


(Aufenthalt in Unterfladen)

Herr Pfarrer
stieg keuchend
vom Messdiener herab
die Soutane noch offen
und klaffend wie ein Grab
Er ging schlurfend zum Fenster
schaute auf den Zug
mit den Menschen hinter Glas

und winkte
ungeschickt
Mit ausgestrecktem
Mittelfinger
grüßte ich zurück

krumme Flüsse grüßen schäumend
Hang       Hang
krumme Flüsse grüßen schäumend
Hang       Hang
krumme Flüsse schräge Berge quälen sich
voran       voran
krumme Berge schräge Flüsse grüßen schäumend
Hang       Hang

krumme Flüsse grüßen
Hang
krumme Flüsse küssen
Hang
Berge werben mit dem
Wein
Berge werben mit dem
Wein
Berber werben wollen
Wein
krumme Berber wollen
Wein
Berge werben Berber
krumm
miese Berber küssen
dumm
krumme Flüsse melken
krumm
grüne Wiesen drum
herum
grüne Bauern melken
Berber
miese Liese küssen
Hang
kleine Orte voller
Berber
kleine Orte grüßen
lang

kleine Orte voller müder Berber küssen
lang       lang
krumme Bauern voller Orte küssen grüne müde Kühe
lang       am Hang
zu lang       am Hang



Die Sonne stach in den Bahnhofsvorplatz
der Zug lief ein
und ich hinaus
Du fragtest:
„Wie war die Fahrt?“
Ich dachte angesoffen nach
und sagte ohne eine Spur
von Spott
„Monoton ist die Natur
so oft...“

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